Zu den etabliertesten deutschen Synthpopbands zählen zweifellos !distain, die bis auf eine zwischenzeitliche Umbesetzung, die eine revolutionäre Namensänderung zur Folge hatte und dem Ausrufezeichen ganz neue Bedeutung verlieh, seit knapp zwei Jahrzehnten zuverlässig den Musikmarkt mit einprägsamen Popsongs bereichern. Dummerweise wird quasi jede neue Veröffentlichung kritisch auf einen inoffiziellen Nachfolger des Szenehits „Confession“ überprüft, was zwangsläufig zur Enttäuschung führen muss - denn !distain haben sich stets neu erfunden und haben mittlerweile zu einem positiven Selbstverständnis gefunden, das es ihnen erlaubt, vermeintliche Konventionen und Erwartungen der breiten Kritikerschar getrost zu ignorieren und ihr eigenes „Ding“ zu machen. Nachdem das letzte Album eindeutige Schritte in Richtung klar strukturierten Dance-Pop unternahm und mir ein wenig zu glattgebügelt klang, schlägt das produktive Trio nun einen anderen Weg ein. Während die Vorabsingle „Where in this world“ wesentlich vom Sound der „On/Off“ geprägt war, bietet das nun folgende Album „Rainbow Skies At Night“ ein breiteres Klangspektrum. Manchen Fan mag dies im ersten Moment verstören, denn wo bislang ein fetter Beat das Fundament für den - wie erwartet - starken Gesang bildete, finden sich unter dem Regenbogen heuer vielschichtige Arrangements wieder, die eindeutig Melodie und Harmonie in den Vordergrund stellen. Tanzbarkeit adé, fluffiger Radiopop olé? Ganz so einfach darf man es sich nicht machen, denn bisweilen liegen zwischen den einzelnen Songs Welten. „No One Is To Lead“ ist druckvoller Electro, „Rainbow Skies at night“ treibender Gitarren-Pop und „December“ ein Opus in bester Iris-Tradition. „Back to history“ vereint sogar mehrere Welten in sich: zum Einen wundervollen Wechselgesang unter Einbeziehung der Gastchanteuse Paula O’ Brien, ein melancholisches, waviges Intro, dessen innere Beklemmung sich im Laufe der 3:30 Minuten zusehends verflüchtigt. Ein Meisterwerk, zumindest für Hörer, die sich den deutlichen Gitarreneinflüssen nicht vorab verweigern. Ich selbst gehöre normalerweise zu den Synth-Puristen und stehe der Einbeziehung akustischer Zupfinstrumente tendenziell skeptisch gegenüber, aber die Kompositionen des neuesten !distain-Albums passen einfach besser zu erdigeren Sounds, die nicht von straighten Rhythmen übertönt werden. Wie immer haben die cleveren Musiker auch einen versteckten Hit platziert, der Gefahr läuft, auf den hinteren Rängen der Tracklist etwas unterzugehen. Dieses Mal ist es „Gunfire“, dessen „Ratatatatata“-Gesangspassage keineswegs einer Basketballkommentierung Frank Buschmanns entliehen ist, sondern mutmaßlich das „ratternde“ Schusswerkzeug darstellt. Da produzieren !distain tatsächlich ihre eigenen Soundeffekte selbst, Respekt! ;) Das beiliegende Presseinfo betont die Vielseitigkeit des Albums, die unterschiedlichen Einflüsse und Zitate aus Ethno, Trance und Pop. Ja, !distain bleiben POP, haben sich mit dieser CD jedoch erneut neu erfunden. Man darf gespannt sein, ob ähnlich kontroverse Reaktionen ausgelöst werden wie Ende der Neunziger Jahre, als „Homesick Alien“ zunächst kritisch rezipiert wurde, sich langfristig jedoch zu einem echten Klassiker der Distain-Diskografie entwickelte. Und der Bonustrack „Blackberry Morning“ ist doch wohl der legitime Nachfolger von „Goddess of Spring“! Wer Gitarrenklängen zumindest einigermaßen neutral begegnen kann oder sich hat impfen lassen, den erwartet mit „Rainbow Skies At Night“ ein mutiges !distain-Werk, das gewiss viele Freunde behalten und neue Sympathisanten finden wird.