„Die Form“ haben eine neue Veröffentlichung zu verzeichnen und wenn ich mich nicht allzusehr verrechne, sind sie damit bei 15 regulären Alben in 30 Jahren. Was aber genau „Die Form“ ist, lässt sich nur schwer umschreiben. In erster Linie ist es das musikalische Spielfeld von Philippe Fichot und seiner Lebensgefährtin Eliane P., das sich über die Jahre hinweg zwar ständig in seinem Stil wandelte aber denoch sich selbst und der Szene treu blieb. „Die Form“ waren minimalistisch und experimentell, zum Teil fast schon Pop/Wave, anstrengend und avangardistisch. In den 90ern entstanden dann Alben, die durch stärkeren Einsatz von Bässen leichtere Zugänglichkeit garantierten, aber nicht minder kunstvoll waren. In der jetzigen Phase ist die Musik „Der Form“ wesentlich entspannter und romantischer, Eliane's Gesang ist zu einem Markenzeichen mit hohem Wiedererkennungswert geworden. Hinter dieser getragenen Stimmung in den Kompositionen arbeitet Fichot unermüdlich, auch die neuesten Releases sprühen vor ausgeklügelten Arragements und elektronischen Spielereien, immer wieder entdeckt man Neues oder bisher wenig Beachtetes. Sich treu geblieben ist man bei der textlichen Thematik, die sich immer wieder aus den Themen „philosophische Betrachtung der Sexualität“ und „Trauer“ speisen. Nun aber der Bruch, 2008 und ein Album von „Die Form“ wartet in den Läden das überrascht – zumindest diejenigen, die nicht gewusst haben, daß „Die Form“ beim Bachfest Leipzig Mitte letzten Jahres eine ganz besondere Performance dargeboten hatten. Über die visuellen Eindrücke dieser Show kann ich ehrlicherweise nichts sagen, denn ich gehöre zu denjenigen, die diesen Auftritt verpasst haben. Über die musikalischen Qualitäten des „Bach Projectes“ habe ich mir in der letzten Woche lange Gedanken gemacht. Es überrascht ein wenig, wie Fichot an dieses Projekt herangeht. Klassik plus eine Musikrichtung eurer Wahl – das gab es schon oft in der Vergangenheit – sehr viele Rock und Metal Bands verarbeiteten bereits klassische Themen, spielten mit Orchestern zusammen, lassen ihre klassisch ausgebildeten Sängerinnen trällern oder nannten große Klassiker als Inspirationsquellen und machten dann schlechten Metal (ich werde nie der große Man-O-War Fan werden). In der Gothik Szene gibt es haufenweise Projekte, die ihre Musik NeoKlassik nennen und auch hier kommt es zu Kollaborationen – allein das gigantische Deine Lakaien Werk aus dem letzten Jahr sollte da sofort in Erinnerung kommen. Der Sound ließ sich bei diesen Liebäugeleien mit Klassik immer in zwei Gruppen aufteilen : Eigene Musik mit Orchester aufgewertet oder klassische Melodien durch die Band vertonen lassen, sodaß man das Orginal kaum mehr erkennt. Bei „Die Form“ hat aber die Liebe zu Bach gewonnen und Fichot hat sich und sein Projekt der Musik Bachs untergeordnet. An erster Stelle stehen auf gesamter Länge der Spielzeit die klassischen Themen, die auch bei Menschen, die bisher nie auch nur mit dem Hintern in Richtung dieser Musik schielten, Erkennen bewirken werden. Streichern, Cembalo und Piano wird sehr viel Raum und Präsenz zugesprochen, Eliane's Gesang ist getragener und höher, als man es gewöhnt ist und die elektronischen Spielereien treten etwas zurück. Besonders fällt auch auf, daß die Melodien Bach's komplett beibehalten wurden und nicht nur Versatzstücke aus den Werken aufgegriffen/herausgenommen und verarbeitet wurden. So gelingt ein bisweilen ungewohntes Hörexperiment, wenn zum Beispiel bei „1031 Sonata Nr 2 in Es-Dur“ ein klassisches Stück mit all seinen Spielereien und Ausschweifungen mit einem normalerweise einengenden rythmischen Elektroniksound unterlegt werden. Zunächst denkt der Hörer : das kann nicht passen. Mit jedem Hördurchlauf wirkt diese Arbeit aber stimmiger und gefälliger. Auf die einzelnen Stücke einzugehen ist wenig lohnend, denn die Frage ist nicht, welches Stück gut ist, sondern für wen diese CD ist. „Die Form“ Fans, die alles kaufen werden sollten denoch einen Hördurchlauf im Geschäft wagen, denn man kauft weniger „Die Form“ als mehr Bach-Modern. Die klassischen Klassikfans werden sich an den ungewohnten elektronischen Elementen stören und diese CD meiden. Die wahre Zielgruppe sind also vielmehr alldiejenigen, die Musik nicht nur als Unterhaltung sehen sondern sich auch auf Experimente einlassen können und Klassik mögen. Kurzum, „Die Form“ haben mit ihrem „Bach Project“ ein Werk geschaffen, daß es dem Höher schwer macht aber genauso auch weitaus mehr begeistern kann als die letzte reguläre Veröffentlichung „ExHuman“. Ich empfehle aber dringend jedem, sich im Geschäft ausgiebig durch dieses Album zu hören, auch wenn die Benotung eigentlich euphorisch machen könnte ! Ach ja : All diejenigen, die Alben der „Form“ bisher blind kauften und sich dachten, daß zumindest das Booklet mit hübschen BDSM-Nakedeien über Albumschwächen hinwegtrösten können wird sollten auch vorgewarnt sein : Das sehr schön gestaltete und auf 1999 Stück limitierte DinA5 Album wartet mit einem recht minimalsistischen Booklet auf, das „nur“ Bilder des Auftrittes beim Bachfest Leipzig enthält – und die sind alle züchtig.