Alles im Leben ist Chemie. Und es brauchte vierzehn komplexe chemische Bäder, um es in seinen lebendigsten Farben festzuhalten. Auf Kodachrome.

Auch formidable Fotos von Gudrun Gut und anderen Kindern vom Bahnhof Zoo entwickelten sich so. Im Sommer 2008 wurde das Ende der chemischen Fotografie eingeläutet und von den Wiener Litfaßsäulen schrie es einem „Punk. No One is Innocent“ entgegen. In der Kunsthalle Wien sah man Fotoserien und Artefakte der Berliner Punk-Szene, gleich neben dem 1980er Stahlschlagzeug der Einstürzenden Neubauten. Die Verschmelzung von Haltung mit alltagskulturellem und künstlerischem Aktivismus, die Synthese von Style, Sound und dem Medium Fotografie wurde offensichtlich. Elf endlose Sommer später darauf machen sich die „Buben im Pelz“ auf nach Berlin. Um dort im legendären Studio 65 mit Alexander Hacke ihr drittes Album einzuspielen. Am 22.05.2020 erscheint nun dessen Single-Auskopplung „Kodachrom“. Grund genug für uns, sich ein erstes Bild zu machen …

Medienkonverter: Servus Buben, Ihr macht es ja exakt wie Paul Simon und benennt die Lead Single des dritten Albums nach jener einzigartigen Film-Ikone. Das klingt verdammt nach Serientäter und einer farbenfrohen Coverversion im Neubauten-Stahlgewitter. Was bitte habt Ihr Euch nur dabei gedacht?

Christian: Eigentlich hätte eine andere Nummer die erste Single sein sollen. Dann pfuschte uns Corona dazwischen, wie vielen anderen Bands auch, die Veröffentlichung und der Videodreh wurden erstmal gestoppt. Die Idee, in dieser Zeit stattdessen "Kodachrom" zu veröffentlichen, kam von David. Der Song ist eine Art melancholischer Abgesang auf die analoge Epoche. In unserer Single kommt aber auch eine gewisse Verschmitztheit zur Wehmut hinzu. Denn wir sind alle keine unreflektierten Nostalgiker und Retro-Freaks.

David: Der Trick der Einstürzende Neubauten war ja stets, hinter all dem Lärm zärtliche Momente zu verstecken. Auch wir Buben im Pelz verfolgen ein Prinzip zwischen Radikalität und Fragilität. Deshalb war die Zusammenarbeit mit Alexander Hacke - aber auch Produzent Alexander Lausch von der Wiener Noise Rock-Band Lausch - sehr passend für uns. Der Song "Kodachrom" spiegelt die zärtliche Seite wieder, zu der uns Alexander Hacke auch stets sehr ermuntert hat.

Wien schwelgt ja im Marmorglanz und profitiert noch vom sogenannten Hauch der guten alten Zeit. Kultiviert man da automatisch eine Vintage- / Retro-Vorliebe, oder fällt einem der Abschied von der alten Welt ganz besonders schwer?

Christian: Würde ich in unserem Fall gar nicht sagen. Die Idee zum Text kam mir, als mein Bruder und ich in der Steiermark das Elternhaus nach dem Tod des Vaters räumten. Da wurde mir wieder bewusst, wie viele Technologien und Speichermedien es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Wir wühlten uns durch Tonbänder, Audio- und Video-Kassetten, Platten, Diasammlungen. Ein sehr sentimentaler Moment, weil all diese Technik ja Erinnerungen birgt. Trotzdem musste, wie gesagt, ein Haucherl Humor in den Text zur Brechung.

Warum Alexander Hacke, warum Porridge im Wedding, warum ausgerechnet Berlin? Wird Euer drittes Album ein völliger Umbruch und das Aussterben der Austriazismen und Mehlspeisen vorantreiben?

David: Als wir unser neues Album entwarfen, war unser Ziel die kollektive vorherrschende Stimmung wie kurz vor dem Kollaps abzubilden. Deshalb wollten wir diesmal atmosphärisch eine Brücke von Wien zum Berlin der frühen Achtziger schlagen. Und Berlin und Wien sind ja allein schon aufgrund ihrer Vergangenheit als gefallene Imperiums-Hauptstädte wie Schwestern. Der Kollaps kam dann übrigens in Form der Corona-Krise und die Atmosphäre hat sich seitdem nur noch mehr verschärft. So gesehen wird das Album auch eine zufällige Exegese auf das Covid-Schlamassel.

Im Moment beherrscht ja das bewegte Bild alles Leben. TikTok, Zoom, Videokonferenz und Streaming bis zum Umfallen. Fürs Video zur Single habt Ihr wieder Jörg Vogeltanz und etliche Jugendfotos Eurer Fans eingesammelt. Aber wer hat Euch fürs Album fotografiert, wen habt Ihr für die Cover-Gestaltung gewinnen können?

Christian: Leider kam es wegen Corona gar nicht zur Album-Fotosession. Wir wollten wieder mit der Fotografin Pamela Russmann zusammenarbeiten, sowohl für das Frontcover als auch die Bandfotos. Pamela hat ja schon für unser Velvet-Underground-Debütalbum Bilder gemacht, als auch für die Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune. Die Fotosessions wären im April gewesen, mitten im Lockdown. Aber wir werden sie nachholen, wenn es wieder die Möglichkeit gibt. Ich weiß nicht, ob Fotos einer mittlerweile sechsköpfigen Band auf Abstand möglich sind.

Es ist ja gerade nicht die optimale Zeit für Diavorträge, Release-Partys und Konzerte. Wie sehen da die bandinternen Lockerungsmaßnahmen fürs Album aus? Wann darf es aus dem Presswerk, wann kommt es über die Grenzen?

David: Die zweite Lockerungsmaßnahme planen wir im Herbst mit einer weiteren neuen Single. Nach langer Zeit wird es dies Mal wieder eine Coverversion sein. Es wird im Vergleich zu „Kodachrom“ sehr dunkel und spröde werden. Also die morbide Seite der Buben. Die Langspielplatte ist für Anfang 2021 geplant.

Letze Fragen. Wie viele Instagram-Follower sollte man anstreben und wie oft macht Ihr ein Backup Eurer Handy-Fotos?

Christian: Oh, diese Frage bohrt tief ins Fleisch. Wir sind als potentielle Influenzer völlige Wappler, um einen Wiener Ausdruck zu verwenden. Wir haben echt keinen Plan, wie so ein Instagram tickt. Ich mache leider auch ganz selten Backups von meine Handy-Fotos. Und, ehrlich, außer Filmtrailer oder Musikvideos hab ich noch kaum was auf Youtube geschaut. Ich lebe in einer Hassliebe zur digitalen Gegenwart. Ich möchte vieles Digitale natürlich nicht missen. Bitte keine Bandmaschinen mehr beispielsweise, Computer sind die besten Aufnahmegeräte. Gerne darf digital gemischt und geschnitten werden. Es war aber auch toll, sich den Luxus zu leisten und als sechsköpfige Band in den Studios in Wien und Berlin live einzuspielen. Ich denke, diese Ambivalenz spiegelt "Kodachrom" sehr gut.

 Vielen Dank und haltet durch!

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