Es geht uns in den Zeiten der Pandemie doch ähnlich: Wir sind recht viel zu Hause und da beginnen viele irgendwann, auch mal den Dachboden, den Keller und die Abstellkammer zu sichten, eventuelle Schätze zu entdecken und Ramsch über Bord zu werfen. So auch beim Medienkonverter geschehen. Ich sagte einmal zu laut "Ach, ich habe grad keine Alben, über die ich schreiben könnte" und stehe nun vor einem Berg von circa 58 Alben und Eps aus ungefähr 12 Jahren, die sich im Fundus angesammelt haben. Es werden sicherlich keine 58 Kritiken, aber der ein oder andere Text kommt wohl dabei herum. Mal sehen, ob sich auch Schätze fanden.

Und da purzelt mir ja was ganz Neues aus dem Albenberg entgegen: Devil-M stehen seit nunmehr 2009 für Industrial-Metal aus Oldenburg und sind mir bisher nie vor die Löffel geraten. Da dieses Genre aber so gar nicht meine Spielwiese ist, kann ich gut damit leben, dass das aktuelle fünfte Werk 'Astharat' meine erste Begegnung mit den wirklich bösen Jungs ist und horche mal rein, was sie uns so zu bieten haben. Alles in allem versteckt sich hinter dem wirklich schön gestalteten Cover ein Album, das mir in Teilen sogar wirklich gut gefiel und das mich überrascht zurück lässt: so böse geht es also zu in der meinem Standort so nahen niedersächsischen Idylle. Und der Promotext ist zumindest mal nicht reiner Standart und kann für sich stehend bereits ausreichend unterhalten:

Der Embryogott lebt, es ist Zeit für ein neues Devil-M Album!
Was erwartet Einen, wenn Deutschlands wildeste Industrial-Metal Band „das geht noch eine Ecke krasser!“ brüllt? Wahnsinn? Tobsucht? Tollwut? Vermutlich Alles – mit „Astharat“ beweisen die vier manisch depressiven Dreadheads ein Wunderwerk aus beklemmendem Hörgenuss und audiophilem Krieg. Und jetzt erstmalig sogar in der eigenen deutschen Muttersprache, was den Wahnsinn noch greifbarer macht.
Das Konzept des anstehenden Longplayers findet seinen Anfang bereits 2014: Astharat gilt bereits im Debütalbum „Revenge of the Antichrist“ als Protagonist, dersich gegen Ende fälschlicherweise schitzophren wähnte und sich darauf mehrfach das Leben zu nehmen versucht. Nun wird ein Blick hinter den Kulissen gewagt: Wie könnte solch eine zerrüttete Existenz sein? Was fühlt diese Person?
Der Kontext ist ein in Audiospur gegoßenes Sinnbild dessen, was in uns Allen schlummert: Blanke Wut. Wir haben Alle tief in uns eine schlummernde Person, die wir Niemandem zeigen. Und das ist unser Embryogott, ein egoistisches Ekel mit Hang zum Sadismus. Aus kleinen Puzzle-Teilen formt sich das dritte Album der Band zu einer Energie-Kuppel, die sich zunehmend aufbläht, implodiert und schlagartig nochmal in die Luft erhebt. Neben gewohnt starken Sounds a là Marilyn Manson oder Psyclon Nine, nimmt uns „Astharat“ auf eine musikalische Reise, die sowohl drückend finster, als auch rauchig laut ist

Nach diesen Zeilen war ich zugegebenermaßen bereit für ordentlich Trash, aber ich könnte nicht weiter weg von der Wahrheit liegen. Devil-M ist auf 'Astharat' vor allem eines gelungen: dies ist ein hochprofessionell klingendes, in sich schlüssiges Gesamtkunstwerk, bei dem jeder Durchlauf (zumindest bei den ersten 7 Titeln) Neues entdecken lässt. Unabhängig davon, ob ich etwas mit dem Stil anfangen kann, erkenne ich doch deutlich, wieviel Mühe sich hier gemacht wurde, um quasi eher ein Hörspielerlebnis, ein alptraumartiges Klangtheater zu schaffen als eine Ansammlung mehr oder minder wirksamer Riff-Brocken. Das fängt schon mit dem dreiteiligen "Requiem of liturgy" an, das in siebeneinhalb Minuten weniger Song ist als düsteres Intro. Klar, im zweiten Teil wird schon etwas Songstruktur eingearbeitet, jedoch wirkt alles noch wie in düsterem Nebel verhangen. Erst der in meinen Ohren wirkliche Opener "Faszination" prischt nun richtig vorwärts und auch wenn es nicht mein Genre ist bin ich Dank der perfekten Inszenierung mitgerissen. Die Klangcollagen aus elektronischer Kälte, metallischer Kälte, Horrorsoundscapes, Samples von Schreien und sehr abwechslungsreichen und ausdrücklich guten Vocals sind während der ersten sieben Tracks für mich als Erstkontakt mit der Band wirklich klasse. Ich kann den Vergleich mit Marilyn Manson nicht wirklich nachvollziehen. Hat es der Antichrist Superstar eher auf klare Hits abgesehen mit wiedererkennbaren Refrains, so ist aus 'Astharat' eher ein Moloch übler Bedrückung zu vernehmen. "Faszination" ist nicht gelungen wegen seiner unnachahmlichen Melodie, sondern der beeindruckend düsteren Umsetzung. Auch "1000 Augen" und "Marilyn Medusa" überzeugen mich und mit dem folgenden "Embryogott", einem kurzen, atmosphärischen Zwischenstück endet leider der erste und bärenstarke Teil der Scheibe. Danach ändern Devil-M den kurs zunächst, werden deutlich ruhiger, weniger dicht komponiert, weniger vielschichtig und in meinen Ohren gewöhnlicher. Es ist alles weiterhin nicht schlecht, aber wirkliche Freude oder Überraschungen erlebe ich nicht mehr. "Auf Stand" ist eine langsame Nummer, die eher versöhnlich und auch deutlich unspannender klingt, das quasi-Titelstück wirkt noch minimaler instrumentiert und nervt mich bisweilen. "Embryo" für sich wäre ein gelungenes Zwischenspiel auf der ersten Albumhälfte, hier ist es fast ein Höhepunkt. "Gabriel" klingt eher nach einem mittelmäßigen Popsong mit den Mitteln, die Devil-M zur Verfügung stehen, "Addendum" könnte ein wunderbar versöhnliches Outro sein, ist aber hier als regulärer Song plaziert bevor "Third nostril" zwar wieder krachig nach vorne geht, aber bei weitem nicht die Wirkung der ersten Stücke erreicht, sondern beliebig wirkt. Und die 11-minütige Ambientnummer die sich unbenannt an den Reigen anschließt ist halt eine Ambientnummer – ich würde sie sicherlich positiver empfangen, wenn sie nicht am Ende der ernüchternden zweiten Albumhälfte stehen würde.

Wie schade. Wirklich schade. Ich halte die Idee, nicht Dauerfeuer zu geben, für gut, aber Devil-M haben bereits während der ersten Stücke gezeigt, dass sie genau das atmosphärisch dicht hinbekommen. Doch ab "Auf Stand" scheint das Album ins Schlingern zu geraten und die Oldenburger scheinen nicht mehr so ganz zu wissen, in welche Richtung es weitergehen soll. Ich mag die ersten Titel nicht so viel mehr, weil sie peppiger sind, sondern weil sie schlichtweg besser und mühevoller zusammengesetzt sind. Das muss aber nicht heißen, dass das vorliegende Album ein Schlechtes ist, denn die ersten knapp 20 Minuten sind ein Volksfest und ich hatte viel Freude an einem sonst für mich nicht wirklich einladend wirkenden Genre. Das liegt vor allem an diesem Hörspielgefühl, an der Atmosphäre, die der Kälte der Musikrichtung gruselig entgegenwirkt. Das ist so gut gelungen, dass ich trotz allem dringend zum Reinhören tendiere – und wer weiß, vielleicht liege ich mit meiner Meinung zur zweiten Hälfte auch daneben und Genrefans wollen genau so etwas,

 

Devil-M

Astharat


 

28.02.2020

Danse Macabre


 

http://www.devil-m.de/

 

01. Requiem of liturgy I

02. Requiem of liturgy II

03. Requiem of liturgy III

04. Faszination

05. 1000 Augen

06. Marilyn Medusa

07. Auf Stand

08. Saint Astharat

09. Embryo

10. Gabriel

11. Addendum

12. Third Nostril

13. Bonus