Seit 1985 musizieren Sänger Alexander Veljanov und Multiinstrumentalist und Dirigent Ernst Horn gemeinsam als Deine Lakaien, schrieben sich mit ihrer von klassischer Musik geprägten Elektronic-Avangarde in die Herzen vieler Menschen und auf die Tanzflächen unterschied­lichster Szenen und bringen nun Album Nummer 10 heraus. Und weil eigentlich jeder die Musik der beiden Herren kennen sollte (und wer es nicht tut, sollte es nachholen), ist jede weitere objektive Beschreibung eher sinnfrei. Jeder hat seinen Bezug, seine Geschichte mit den Lakaien (und sei es auch nur ein „ist nicht mein Fall", aber diejenigen lesen das hier sicher nicht) und ich bleibe ganz bei mir:

Mein erster Kontakt kam erst mit ‚Kasmodia‘, 1999, und damals hieß es für mich eigentlich grundsätzlich: „keine Gitarre, kein Spaß". Aber diese emotional bewegenden Melodien zusammen mit Veljanovs wunderbarer Stimme trafen auch mein mit Scheuklappen ausgerüstetes Metallerherz. Es dauerte aber noch eine Weile, bis ich Deine Lakaien wirklich lieben lernte und ihnen die verdiente Aufmerksamkeit schenkte. Ich musste erst lernen, dass Tanzen mehr als headbangen und pogen sein kann und dass Elektronik eigentlich auch mein Ding ist. Und dann war es natürlich die ‚White Lies' und noch viel mehr das Live-Album ‚Dark Star Tour 92' die mich mitrissen. Es folgten viele Konzerte, viele Stunden mit der gesamten Diskographie und sehr viel Auf­merksamkeit, wenn es um Ernst Horns Seitenprojekte (insbesondere Helium Vola) ging und nun sitze ich hier, die Deluxe Edition von ‚Dual‘ liegt neben mir und ich weiß recht genau, was ich zu schreiben habe.

‚Dual' ist ein besonderes Doppelalbum, aber warum sollten die beiden Herren, die mit 56 (Veljanou) und 72 (Horn) ein auch alterstechnisch ungewöhnliches Duo sind, einfach nur ein weiteres Album raushauen? Veljanov, der in den 80ern musikalisch geprägt wurde, wählte 10 Titel aus. Nicht der Bekanntheitsgrad, sondern die Liebe zu den Titeln, ihre Diversität und ihr Potential, im Lakaien-Sound aufzugehen, führten zur Auswahl. Zu jedem dieser Titel entwickelte das Duo 10 eigene, die inhaltlich und stilistisch Brücken schlagen. So weit, so spannend- gerade für musikalisch versierte Personen ist die Bezugsanalyse sicherlich interessant. Ich (aus musikwissenschaftlicher Sicht) Neandertaler ohne wirklichen Hang zur Textanalyse aber erlebe 2 getrennte Alben, eines mit eigenen und eines mit Coverversionen und man verzeih mir, aber so beschreibe ich sie auch.

‚Dual 1' bietet 10 neue, eigene Lakaientitel und stellt auf hohem Niveau die schwache Hälfte dar. Denn egal ob man es poppig-tanz­bar, sanft oder avangardig mag: Das Album bietet alles in gewohnt starker Umsetzung, es fehlt aber das Potential, umzuwerfen. Zuletzt war dies bei, Indicator' der Fall und ich habe das Gefühl, dass auch ‚Dual 1' auf lange Sicht ein Album sein wird, das ich gerne höre, wenn ich mich bewusst dafür entscheide, dessen Titel aber nicht als erstes in meinen Gedanken auftauchen werden, wenn ich an die Lakaien denke. Für mich kein Problem, es ist ein mehr als gutes Album. Titel wie der Opener „Because of because“, „Run“ oder das mit seinen schrägen Sounds an frühe Werke erinnernde „Qubit man“ werden bei Fans ein wohliges Gefühl erzeugen und Ausfälle gibt es einfach nicht. Veljanovs Stimme ist ungebremst und unbeeindruckt von der Zeit unnachahmlich und schön und Horn erschuf dieses Mal elektronische Poesie ganz ohne Gastmusiker: Aus seinem riesigen Fundus über die Jahre auf­genommener Spuren sampelte er Klanglandschaften, die so deutlich seine Handschrift tragen wie eh und je.

Und damit versuche ich zu 'Dual 2' eine Brücke zu schlagen und dabei doch wieder auf meine Beziehung zum Duo zu kommen: Waren es am Anfang die Klassiker und Hits, die mich auf die Tanzfläche trieben und Veljanovs Stimme, die in meinen Ohren die Deine Lakaien besonders machte, so änderte sich dies nach und nach. Es begann mit meinem ersten Lakaien Konzert: Elektronische Musik kann ja Kunst sein! Klassische Arrangements können faszinieren! Jahr um Jahr, Konzert um Konzert brachte mir Ernst Horn bei, Musik neu zu erleben, nicht nur als Tanzfutter oder Bewältigungsmittel für Emotionen zu sehen und ich liebe ihn dafür. Sein Umgang mit Musik ist für mich heute höchste Kunst und bei Liveauftritten, es tut mir leid, Alexander, habe ich nur noch Augen und Ohren für Ernst Horn. Und warum nun diese Liebes­erklärung vor ‚Dual 2'? Ich mag eigentlich keine Cover. Und in meinem Kopf hatte ich schon vor dem ersten Durchlauf eine gute Vorstellung davon, wie Veljanov die Titel singen würde. Aber ich war dennoch gespannt wie ein Flitzebogen, wie Horn an die Stücke herangehen würde. Welche Elemente er unterstreichen, welche er abschwächen würde. Welche Emotionen er ihnen einpflanzen und schließlich, wie er ihnen sein Siegel aufstempeln würde. Ja, es finden sich hier mit „Dust in the wind“, „La chanson des vieux amants“ und „Song of the flea“ drei Titel, die ich im Original nicht mag und auch ihre Cover können mich nicht reizen. Aber die anderen Kunstwerke sind eben solche geworden. Das sowieso schon schräge „The Walk“ von The Cure wird zu einer fast schon hysterisch-comicartigen Nummer, Kate Bushs „Suspended in gaffa“ irritiert im neuen Gewand 2021 so, wie das Original wahrscheinlich zur Veröffentlichung irritierte und auch wenn Kate Bush unerreicht bleibt ist diese Version eine ausgesprochen spannende Angelegenheit. „Black hole sun“ ist etwas sanfter, als im gitarrenlastigen Original und das mir bisher unbekannte „Spoon“ gefällt mir so richtig gut. Aber die Prunkstücke rahmen in meinen Ohren ‚Dual 2‘: „Because the night“, das die erste Vorabsingle darstellte, presst Emotionen in den bereits aufgeladenen Titel, dass mir fast die Tränen kommen und mein Herz beim Einsatz des Refrains kurz einen Satz macht und „My december“ von Linkin Park (RIP Chester Bennington) ist für mich einfach eine gigantische Verbesserung eines soliden Titels und ein traumhafter Abschluss.

‚Dual‘ ist eine schöne Erfahrung: Deine Lakaien bleiben sie selbst und schaffen weiterhin einen Sound, den ihnen keiner nachmacht. Vielleicht ist ‚Dual 1‘ nicht so stark wie zum Beispiel das von mir innig geliebte ‚Crystal palace‘, aber es ist ein sehr gutes Album und ‚Dual 2‘ ist die erste Sammlung von Covern, die ich nicht nur wohlwollend zur Kenntnis nehme. Horn und Veljanov haben aus den Originalen eigene Kunstwerke geschaffen und auch das Artwork und die Gestaltung meiner Edition sind Kunst – in meinen Augen sogar das Beste, was man aus dem Hause Deine Lakaien in insgesamt 35 Jahren zu sehen bekam. Deswegen kann ich die Deluxe Version trotz eher wenig beeindruckender dritter Scheibe mit 2 netten musikalischen Dreingaben wärmstens empfehlen: Es sieht in diesem Format wesentlich besser aus (ich habe beide Versionen vorliegen, da ich das Album in regulärer Version verschenke)! Und so bleibt es am Ende doch klar: Wer die Lakaien bisher nicht mochte, sie langatmig, sperrig oder wasauchimmer fand, der wird sich bestätigt fühlen. Fans werden aber ihr Glück finden können – und zwar ausgesprochen viel Glück, fast eineinhalb Stunden. Ich möchte danke sagen für Musik, die für mich erst mit guten Kopfhörern oder Live wirklich zum Erlebnis wird. Letzteres wird noch auf sich warten lassen, aber so ist das nun einmal während einer Pandemie. Aber wir sehen uns hoffentlich wieder, die Herren!

 

Deine Lakaien

Dual

 

16.04.2021

Chrom Records (Rough Trade) / Prophecy Productions / SPKR

 

 

Dual 1
01. Because of because
02. Sick cinema
03. In your eyes
04. Snow
05. Happy man
06. Run
07. Les oiseaux
08. Unknown friend
09. Qubit man
10. Someone to come home to
 
Dual 2
01. Because the night (Patti Smith Cover)
02. Spoon (Can Cover)
03. The walk (The Cure Cover)
04. Dust in the wind (Kansas Cover)
05. Suspended in gaffa (Kate Bush Cover)
06. La chanson des vieux amants (Jacques Brel Cover)
07. Black hole sun (Soundgarden Cover)
08. Lady d’Arbanville (Cat Stevens Cover)
09. Song of the flea (Modest Mussorgsky Cover)
10. My december (Linkin Park Cover)
 
Dual 3
01. Because of because (2nd Version)
02. Am Fenster (City acoustic Cover)