Eine sehr interessante Veröffentlichung im weiten Genre des Synthpops erreichte mich jüngst aus Russland. Das Ein-Mann-Projekt „Dark Phenomenon“ nennt zwar Depeche Mode, Pet Shop Boys und die Sex Pistols (!!!) als primäre Einflussfaktoren, doch die knapp 45-minütige musikalische Entdeckungsreise führt den Hörer in bedeutend weiter aufgefächerte Spektren der synthetisch erzeugten Popmusik. Und dies stets auf ziemlich mutige Art und Weise, denn die Melodien bleiben zwar beim ersten Durchlauf im Ohr hängen, doch eingestreute Soundeffekte, die dominanten Old-School-Drums sowie dezente Dark Wave-Einschläge in Dunkel-Moll befördern auch beim dritten Hinhören noch neue liebenswerte Facetten ans Tageslicht. Dabei betritt Protagonist Roman Radchenko keine fest getretenen Pfade, sondern kämpft sich mit Nummern wie „All’s For Nothing“ quer durch unerforschte Landstriche. Zunächst scheppern Gitarren, begleitend von EBM-Rhythmen mit hoher BPM-Frequenz drauflos, anschließend leitet ein sanftes instrumentales Glockenspiel zum finalen Refrain in bester „Music for the masses“- Laune über. Das daran anknüpfende 1:17 Minuten kurze Stück „Dilemma“ weckt Assoziationen von Vince Clarke am Akkordeon, bevor „Without you“ beweist, dass Roman auch ergreifende Balladen komponieren kann, die unscheinbar beginnend in einem dramatischen Schlussakt enden. Überhaupt ist das Songwriting die zentrale Stärke des Albums. Mit einer professionelleren Produktion, die das vielschichtige Klangspektrum noch stärker differenziert und der durchaus hörbaren Stimme ihre verdiente Geltungskraft verliehen hätte, wäre das vorliegende Werk „Disfavour.“ eine rundum überzeugende Sache geworden. Die teils dumpfe Produktion ist insofern ärgerlich, als dass ein tanzbarer Hit wie „Love is true“ aus diesem Grunde von manch kritischem Geiste als Eurodance verunglimpft werden könnte, womit man der ungemein „catchy“ daherkommenden Komposition aber Unrecht täte. Auch „Testament“ ist so ein Fall, bei dem man als Hörer aufschreien möchte, warum dieser oder jener Sound nicht besser ausproduziert wurde. Mensch – perfekt designte Synthpopkracher – und dann hört das niemand! Aaaargh! Die Bewertung der Scheibe fällt dementsprechend schwer. Im Normalfall müssten mindestens 1,5 bis 2 Punkte abgezogen werden, aber die wirklich tollen Songs verdienen einfach, dass man ihnen zuhört und Herrn Radchenko dafür dankt, ein sehr abwechslungsreiches Album mit vielen Irrungen, Wirrungen und Überraschungen erschaffen zu haben. 5 Punkte als Kompromisswertung, verbunden mit dem Hinweis, dass die CD direkt über das russische Label Scent-Air vertrieben wird und aktuell nur via Discogs geordert werden kann – mit entsprechender Lieferzeit von 2-3 Wochen. Abhilfe für die eiligen Hörer kann jedoch iTunes und Co. schaffen. Wer sich einen visuellen Eindruck verschaffen möchte, klickt zudem auf den Videolink zu „Testament“ in der linken Leiste. „Dark Phenomenon“ ist nur zu wünschen, dass die Quelle der Kreativität weiter sprudelt und für das kommende Album ein fähiger Produzent gefunden werden kann. Sollte dies gelingen, werden wir von Roman noch einiges hören.