Hier kommt schon der nächste Streich aus "Mother Russia". Cyclotimia, offenbar eine der wohl bekanntesten Electro-Bands des Landes holt erneut zum akustischen Rundumschlag aus. Seit 1999 veröffentlichte das Duo aus Moskau drei Fulltime-CDs und zwei Vinyl-Alben in Deutschland, Italien und natürlich Russland sowie einige Sampler-Beiträge. Ursprünglich als Industrial Projekt gegründet, mischten sich im Laufe der Jahre auch Elemente von old-school Electronics, Experimental und New Age in den kosmopolitischen Sound von Cyclotimia, frei nach ihrem Motto: "Think Positive, Consume, Believe Media." Inspiriert von Themen der Globalisierung und freien Marktwirtschaft legt das Projekt mit der MCD "Trivial Pleasures" den ersten Teil der Trilogie "L'Electronique Mondial" vor. Zwei weitere MCDs sollen das Werk demnächst komplettieren. "Trivial Pleasures" – der Soundtrack also für eine liberale, globale und auf der freien Marktwirtschaft basierende Entwicklung der Gesellschaft? Man nehme nun einige alte sowjetische analoge Synthies, digitales Equipment und einen Fernseher. Dann Bloomberg TV oder CNN Money einschalten und auf den Market Report warten. Die von Monopoly Records geprägte Bezeichnung "Kopfkino" prägt den Sound und Stil dieser CD wohl am besten. Bilder eines hektischen Börsengeschehens, von Informations- und Datenverarbeitung sowie deren Übermittlung, Sequenzen flirrender Computerbildschirme voller Zahlen und Indizes, bedrohliche Vorstellungen eines neuen ID-Technologie-Implantats, das jeden Mensch zur Zahl und zum Sammelsurium verwertbarer Informationen für Regierung und Wirtschaft werden lässt – all dies verpacken Cyclotimia in einer abstrakten und sterilen Weise zu einer einzigen Geräusch-Collage. Keine Beats, keine Melodien, hier gibt es lediglich ein mechanisches Herunterspulen alltäglicher, nerviger Bleeps, Beeps, Computerstimmen, Ticken, plätscherndes Wasser (?), Geratter und Geklapper – zermürbende Monotonie pur. Vielleicht hätten sie ihr Mikro auch an die Geldzählmaschine der Bank of America halten sollen? Oder an den Geldautomaten der Postbank oder den EC-Kartenleser von Kaufhof? Schade um diese CD, denn das Konzept und der Ansatz sind so intelligent wie interessant und aktuell. Allerdings hätte man daraus wesentlich mehr machen können. Um sich die auf "Trivial Pleasures" – hier ist der Name tatsächlich Programm – versammelten Geräusche zu Gemüte zu führen, muss man nur die o.g. TV-Programme einschalten oder – wenn möglich – sich selbst an die Orte des Geschehens begeben. Diese "Pleasures" braucht aber in Wirklichkeit kein Mensch, höchstens um sie vielleicht für etwas weniger triviale Soundstrukturen zu sampeln ... Da fragt man sich unweigerlich, wie die beiden Nachfolger MCDs wohl aussehen werden. Nach 26 Minuten digitalem und analogem Stress ist dann Gott sei Dank Schluss, denn auch Börsianer und sonstige im weltweiten Kapital- und Datentransfer verwickelten Individuen müssen einmal schlafen gehen (die Computer allerdings nicht!). Was bleibt, ist ein großes Fragezeichen und womöglich die Erkenntnis, dass man gut daran getan hat, keine Banklehre gemacht zu haben – oder gar, dass man diese schleunigst nachholen sollte, bevor es zu spät ist. Ich kann diese Ausbildung jedem nur wärmstens empfehlen! Ihr dürft sogar auch mal einen Tag an die Frankfurter Börse – habe es selbst erlebt! ;-) Wer sich schon mal vorab schlau machen will, ein Blick auf die wirklich toll gestaltete Homepage von Cyclotimia lohnt sich. Vor allem die Link-Sektion lässt das Herz jedes Kapitalisten höher schlagen. MP3s gibt es natürlich ebenfalls zum herunterladen.