Ein neues Album von Current 93 und meine Begeisterung kennt Grenzen. Deutliche. Denn ‚I am the last of all the field that fell‘ hat zwar alles, was auf neueren Veröffentlichungen der Band zu finden ist, doch schaffte es David Tibet dieses Mal nicht, daraus ein für meine Ohren gelungenes Hörerlebnis zu machen. 2014 präsentiert uns der rastlose Engländer ein anstrengendes Vergnügen (?) und am Ende verbleibt der Hörer nur bedingt mit dem Gefühl, seine Zeit und Aufmerksamkeit sinnvoll genutzt zu haben. Doch was ist anders als noch bei den letzten Alben, die eine konstante Stärke und Qualität der Band Current 93 auch nach 30 Jahren bewiesen? Was kann ich auf ‚I am the last of all the field that fell‘ nicht finden? Jedes der letzten Alben hatte eine besondere Note, eine andere Arbeitsweise und gemein war allen eine immer neue Energie. ‚HoneySuckle Æons’ war zuletzt ungemein zerbrechlich und düster, gezeichnet von privaten Verlusten Tibets. 2014 unterstelle ich Tibet, dass er eher wenig zu sagen hat. Naja, er spricht auf dem neuesten Werk wie immer viel. Sehr viel. Aber ich kann nicht deuten, welchen Anlass er hatte, dieses Album zu schreiben. Die Melodien, wenn auch wie so oft mühevoll mit Gastmusikern entwickelt, stehen in der zweiten Reihe. Da gibt es schöne Themen: „The invisible church“ beginnt mit einer non-linearen Pianolinie, „With the dromedaries“ verzaubert mit einer zerbrechlichen Melodie und „I remember the Berlin boys“ macht sogar richtig Spaß. Tibet lässt aber nicht zu, dass man ungetrübt genießen kann. Und es gibt wenig musikalische Abwechslung, das immer gleiche Schema. Nun sind zwar Melodien schon immer eher das Fundament für Tibets Predigten gewesen, doch "Tank of flies", „Then kill caesar“ oder "Sunset" und die Krautrock- oder Noise-Elemente zuletzt machten auch eine Qualität der Band aus. Ich höre Current 93 nicht nur wegen Tibet, sondern auch wegen der Musik drumherum. Jetzt bekomme ich aber Tibet unverdünnt. Pur. Anstrengend. Er fordert mit aller Macht. Er redet, lamentiert, schreit, quiekt und jault – eigentlich auch wie immer, aber irgendwie eine Stufe anstrengender. Er redet sich in Rage und nimmt ungemein viel Raum ein. Und manchmal versucht die ansonsten so dezent arbeitende Instrumentenfraktion, ihm das Wasser in Sachen Herausforderung zu reichen wie beim Saxophonspiel in „Those flowers grew“ das zusammen mit Tibet mein Kristall in der Vitrine gefährdet. Gastmusiker finden sich nicht nur an den Instrumenten, zweimal gibt Tibet das Mikrophon ab: bei „I could not shift the shadow“ singt Nick Cave zurückgenommen und gönnt dem Album damit einen tollen Ausklang, Antony Hegarty hingegen zeigt bei „Mourned winter then“, dass seine Stimme manches Mal schwer nerven kann. Schade. Und während der gesamten, mir unendlich lang vorkommenden Spielzeit weiß ich nicht, wohin mich dieses Album tragen soll. Das habe ich so noch nie bei Current 93 erlebt. Musikalisch spielt man routiniert auf hohem Niveau, doch melodisch kommt das Album zu kurz und Tibet ist zu deutlich und alles überdeckend im Vordergrund. Den Anforderungen, die eine solche Konzentration auf ihn mit sich bringt, kann Tibet dieses Mal leider nicht gerecht werden. Interessanterweise gilt das auch für das Albumartwork, dass mir deutlich weniger gefällt als noch als die Bildbeiträge auf ‚HoneySuckle Æons’. Und so verbleibe ich deutlich enttäuscht und hoffe, dass David Tibet für das nächste Album wieder einer etwas hörerfreundlich Form wählen wird.