Heute gibt es mal wieder ein Klassik-Review. Wir schreiben das Jahr 1992, das vermeintliche Masterpiece "Disintegration" ist vor drei Jahren erschienen und The Cure sind endgültig damit in den Pop-Olymp aufgestiegen. Und das, trotz aller Unkenrufe seitens des Labels, welches befürchtete "Disintegration" würde sich als Ladenhüter erweisen und der Band den Todesstoß versetzen. Der olle Robert war nun in einem Dilemma. Er hatte die 30 überschritten und war immer noch am Leben. The Cure gab es auch noch und sie waren erfolgreicher als jemals zuvor. Nun erwartete die Welt ein neues Album, das nochmal einen draufsetzt und dabei war er voller Erfahrungen und Eindrücke der letzten Jahre in denen seine Band eine sagenhafte Karriere hingelegt hatte, die bereits mit dem gefälligen "Head on the Door" - Album von 1985 erheblich an Fahrt aufgenommen hatte. Wer jetzt vermutet, dass die ganzen Hits nur dazu dienten die geneigte Hörerschaft vor den Kopf zu stoßen und reine Zufallstreffer waren, der irrt gewaltig. Meiner Meinung nach war nichts an Hits wie etwa "In between Days", "Close to me", "Why can`t i be you" oder aber "Just like heaven" Zufall, so folgen sie doch allesamt auffallend denselbem Muster. Das soll ihm ja auch vergönnt sein, denn schließlich muss die Band auch von irgendetwas leben. Mit "Kiss me, Kiss me, Kiss me" haben The Cure dann auch dauerhaft in Amerika Fuß gefasst und waren zu weltweiten Superstars aufgestiegen. Im Nachhinein mutet somit die Behauptung des Cure-Frontmannes, er habe "Disintegration" aus einer tiefen Depression heraus geschrieben mal wieder wie eine seiner vielen Presse-Lügen an. Betrachten wir es nüchtern: Die Band war erfolgreich wie niemals zuvor, hatte die stabilste Besetzung in der Geschichte. Ihnen standen alle Möglichkeiten offen und nicht zuletzt war er gerade frisch mit seiner Jugendliebe Mary vor den Traualtar getreten (eine Ehe, die bis heute glücklich ist). Also, who the f*** glaubt da an eine tief depressive Phase? Und so muss ich mit diesem Abstand "Disintegration" für mich auch ein wenig relativieren. Zum Einen stören mich mittlerweile all die künstlichen Donner-, Scherben- und Klingeling-Samples, die Smith aus reinem Spaß an einer frisch erstandenen Sample-CD eingebaut hat. Zum Anderen sind die meisten Texte auch nicht wirklich gut gealtert. Zuviel an Disintegration wirkt doch sehr gefällig. Das "Lovesong" ein Nr. 2 - Hit in Amerika war wundert ebensowenig wie der gespielte Skandal, der um "Lullaby" bei Top of the Pops gemacht wurde. Beides wurde natürlich medial entsprechend bewertet und verhalf nur noch mehr The Cure in den Charts nach oben klettern zu lassen. Heute ist "Lullaby" für mich ein Lied über einen Kerl, der von einer Spinne gefressen wird, warum eben auch immer. Den oftmals implizierten tiefen, doppeldeutigen Sinn mag es geben, jedoch nimmt er für mich keinen Moment die Infantilität aus dem Titel. Auch die restlichen Lieder sind für mich eher unfertig und überschätzt. "Disintegration" ist auf gar keinen Fall ein schlechtes Album, jedoch bildet es für mich nicht mehr den düsteren Meilenstein der Popgeschichte, denn dazu ist es viel zu wenig selbstzerstörerisch oder entlarvend. Lange Rede, kurzer Sinn. Das eigentliche Meisterwerk The Cures, welches für mich auch gleichzeitig das Ende der relevanten Alben der Band darstellt, bildet "Wish". Und, warum ich das so empfinde, werde ich jetzt erläutern, nehmt euch einen Drink und genießt es:

Es beginnt mit "Open". Eine anfangs einladende Gitarrenhook schwaudelt recht schnell in einen bedrohlichen Klangteppich, der so gar nichts Beruhigendes mehr hat. Im Text erläutert Hr. Smith, warum er es eigentlich total hasst hier zu sein und eine Stimmung an den Tag legen zu müssen, die er so gar nicht hat. Warum er all den Leuten, die so oberflächlich sind und ihm eigentlich überhaupt nichts bedeuten den Harlekin zu machen hat, obwohl er doch viel lieber ganz woanders wäre. Eine ähnlich schonungslose Eröffnung hatte lediglich  das Album "Pornography" zu bieten, auf dem in der ersten Zeile proklamiert wurde, dass es eigentlich vollkommen egal wäre, wenn alle sterben. "Open" beschreibt ein derart unangenehmes Gefühl so sehr at point, dass es schwer fällt die Analogie zur Realität eines Popstars nicht zu bemerken. Wenn es doch nur so weiterginge. Aber nein, diese Stimmung macht "High" schonungslos kaputt. Diese Vorabsingle fand ich schon damals derart unpassend und vergessenswert, dass es beinahe schmerzt. Während die poppigeren Lieder bei The Cure vorher immer eine ziemlich makabere Ebene hatten säuselt es hier geradezu: Kauf mich, ich bin ein nettes Liedchen! "High" wirkt noch wesentlich banaler, wenn man bedenkt, dass sich mit "Apart" nun einer der besten Cure-Titel überhaupt anschließt! Dieser Song beschreibt das Gefühl zweier Menschen denen irgendwie die Liebe abhanden gekommen ist und die sich nichts mehr zu sagen haben derart treffend, dass wohl jeder die einzelnen Momente nachvollziehen kann. All das ist in eine wunderbar driftende Musik gebettet, die vor Tristesse und Traurigkeit nur so strotzt. Allein dieser Song ist den Kauf des Albums wert. Zu "From the edge of the deep green sea" muss man nicht mehr viel sagen. Dieser Titel ist ein Hammerbrett und nicht umsonst seit 1992 dauerhafter Bestandteil des Live-Sets der Band. "From the edge..." ist all dass, was der Song "Disintegration" gern wäre. Der Text behandelt den Willen alles zu tun für einen Menschen. Also eigentlich ein Liebeslied. Doch irgendwie implizieren die Worte etwas Falsches, das etwas an der Sache nicht richtig ist. Auch die Musik unterstützt dieses Gefühl zusätzlich. Ich kann nicht sagen, ob es beabsichtigt war, aber der Titel bewirkt in mir ein wohlig ungutes Gefühl. "Wendy time" behandelt nun eine Begegnung mit einer Frau, die sich für den Nabel der Welt hält und dem armen Robert wohl an die Wäsche wollte. Er selbst verleiht im Text seiner Aversion gegen solche Avancen eindeutig Ausdruck. Das geschieht, indem er sie rausschmeißt und ihr sagt, dass sie ihm so rein gar nichts bedeutet. Das Werk hat eine catchy Melodie und weiß mich auf seine Seite zu ziehen. Dazu kommt ein fast hypnotischer Synth im Hintergrund. Mit dem nächsten "Doing the unstuck" kommt erneut Ärgerniss in die "Wish" - Welt. Dieser Titel schreit förmlich "Ich will sein wie "Just like heaven"!" War jedoch letztgenannter eine wunderbare Liebeserklärung an seine anno 1987 Beinahe-Ehefrau Mary, sagt "Doing the unstuck" lediglich aus, dass man alles erreichen kann, wenn man immer fröhlich ist und munter daherhüpft. Und sorry, das passt weder auf das Album, noch zur Band. Zumal man gerade einmal zwei Titel zuvor die Trostlosigkeit geradezu ausatmete. Die Musik klingt wie gewollt auf Hit getrimmt. Gleich danach kommt dann "Friday i`m in love". Ja klar, einer der größten Hits der Band, aber dabei ein so banales Popnümmerchen, dass es lächerlich wirkt, entstammt es doch der Feder eines der größten Antihelden des Popbusiness. Angeblich entstand "Friday..." während einer Autofahrt zum Studio in ein paar Minuten. Es gibt Momente, da wünschte ich, Smith hätte niemals den Führerschein gemacht! Und wieder folgt auf diese banale Popnummer eines der besten Cure-Lieder überhaupt. "Trust" mag ich derart, dass es unser Hochzeitslied war und wir den Songtitel in die Eheringe graviert haben. Wenn man denkt, "Pictures of you" oder "Lovesong" seien Liebeslieder, vergesst es. "Trust" ist das ultimative Liebeslied! Die Musik ist getragen und wundervoll. Der Text sagt aus, dass nichts auf der Welt geblieben ist, als der andere. Niemand anders bedeutet mehr etwas.Und, wenn das jetzt enden soll, dann ist alles zu Ende. Man weiß, dass es schwer ist sich gegenseitig zu vertrauen, aber wenn man daran glaubt, dass die Liebe alles ist, dann wird es weitergehen. Diese fast wörtliche Wiedergabe ist in ihrer Banalität und Einfachheit einfach genial. Selten war Robert dem Zuhörer derart nah und hat sich selbst gezeigt. "A letter to elise" schlägt zwar thematisch in dieselbe Kerbe, aber nach "Trust" muss sich fast jeder Song einfach geschlagen geben. Als Überleitung taugt "Elise" aber allemal. "Cut" haut uns dann wieder ein Brett vor den Kopf. Und, hoppla, es ist ein Nagel drin. Zu diesem Titel muss man wissen, dass gerade einmal 3 Jahre zuvor, kurz nach der Vollendung der "Disintegration", Roberts Langzeit-Best-Friend, Sauf- und Kokskumpan Lawrence Tolhurst unfreiwillig die Band verlassen musste. Dies geschah, da die anderen sonst drohten die Band zu verlassen. Lawrence war irgendwie von Alk und Drogen nicht mehr weggekommen. Zur Zeit der "Wish" tobte ein erbitterter Rechtsstreit um Tantiemen zwischen Rob und Lol, der medienwirksam vor Gericht gebracht wurde. Ziemlich eindeutig drückt Smith in "Cut" nun aus, was er von Lol und seinem Verhalten denkt. Getragen und ruhig leitet "To wish impossible things" die Endphase des Albums ein Fast könnte man diesen Titel als die Fortsetzung von "Apart" betrachten. Man erinnert sich gemeinsam an die Vergangenheit, jedoch nur an die schönen Dinge, die Dinge, die eben bleiben. Und dann sieht man, dass es nicht mehr so ist und es ist vollkommen ok, man hat keinen Groll. Manche Wünsche gehen nun einmal nicht in Erfüllung. Die Musik erinnert ein wenig an "If only tonight we could sleep". Ein schöner, versöhnlicher Schlußakt... denkt man. Doch dann kraucht "End" um die Ecke. Dreckig und mit blutigen Lefzen fleht uns Smith hier förmlich an. Er habe alles erreicht, alles gesehen, es kommt nichts Neues mehr. Er will endlich seine Ruhe und will nicht mehr als etwas gesehen werden, was er nicht ist. Wenn es einen perfekten Punkt gegeben hat mit der Band aufzuhören, dies wäre er gewesen!

Doch, wie wir alle wissen, es kam anders.  Bei "Wish" muss man einige Hintergrundinfos haben. Nach der erfolgreichen, ausgedehnten "Prayer-Tour" war die Band in einem derart desolaten Zustand, dass es irgendwie kaum weiterging. Mittlerweile hatte das einstmals perfekte Kultgefüge Smith/Gallup/Thompson/Williams/O`Donnel derart oft aufeinandergehangen, dass O`Donnel bereits weg war und Williams schon auf gepackten Koffern saß. Als kleine Randnotiz muss man bemerken, dass Williams schuld daran trägt, dass "Friday i`m in love" überhaupt erst auf dem Album vertreten war. Dafür hatte man den qualitativ wesentlich hochwertigeren "The big hand" kurz vor der VÖ runtergeschmissen und dann verachtenswerter Weise als B-Seite von "A letter to elise" verschleudert. Ein Wort zu den B-Seiten der Begleitsingles sei auch noch gegönnt. Hier hätte es genug Material gegeben, mit dem man "Wish" zu einem Meilenstein der Düsternis hätte machen können. Man tausche "High" gegen "This twilight garden", "Doing the unstuck" gegen "Scared as you" und "Friday i`m in love" gegen "The big hand". Heraus kommt das für mich perfekte Album. Im Gegensatz zu "Disintegration" war Smith bei "Wish" tatsächlich deprimiert. Von den chartaffinen Popsongs mal abgesehen schreit hier alles "Hilf mir, hol mich raus, mach, das es endet!" Ich glaube zu dieser Zeit war ihm einfach alles über den Kopf gewachsen. Wie anders hätte er sich ausdrücken sollen, als durch Musik. Und er erschuf einige Perlen, die zu dem Besten und Ehrlichsten zählen was The Cure je gemacht haben. Er ist erwachsen geworden, sagt was er denkt, während um ihn herum alles zusammenfiel. Und doch machte er immer weiter. Danach kam die vergessenswerte "Wild Mood Swings", die künstlich hochgebauschte "Bloodflowers", das kurze Zucken "The Cure" und das banale "4:13 Dream" Seit Jahren ist ein neues Album angekündigt, aber erwarten wird das keiner, denn zu viele Enttäuschungen haben in den letzten Jahren das Studioschaffen von The Cure geprägt. "Wish" zeigt The Cure am Ende ihrer Hochphase ausgesprochen direkt, ehrlich und erwachsen. Es ist für mich nicht nur der Höhe- und zugleich Tiefpunkt der Band, sondern zugleich auch das Album, welches das beste ihrer gesamten Karriere ist. Wie gesagt, meine Version, und auf der habe ich die unpassenden Titel getauscht. Das ist ja im digitalen Zeitalter zum Glück möglich. Und ein wenig habe ich die Hoffnung, dass im nächsten, dem Jubiläumsjahr, das Album im remasterten Glanz noch einmal erscheint. Denn, leider finde ich die ursprüngliche Abmischung zu flach und breiig.