Einen längeren Dornröschenschlaf in meinem Ordner hat auch „VOID“ hinter sich, ein Album, hinter dem sich die Solokünstlerin Elinor Lüdde verbirgt. Die gebürtige Weimarerin, die sich auch als Schauspielerin einen Namen machte, erlernte früh ihre „Herz“-Instrumente, so zum Beispiel die Gitarre, die Harfe und das Schlagzeug, wobei sie sich mit Letzterem in ihrer Band „Sleazy Inc. Operated“ einbrachte. Unter dem Namen „Corecass“ lässt Elinor unterschiedliche Elemente zusammenwirken und schafft mit verschiedenen Instrumenten und digitalen „Zugaben“ eine besondere Atmosphäre – besonders, da anders. Aufgenommen wurde unsere impulsive Orgel zudem in meiner feinen Heimat, in der St. Georgen Kirche in Waren Müritz in Mecklenburg-Vorpommern. Ich versuche, das Werk - der nun in Hamburg lebenden Künstlerin - für mich zu verstehen – für mich ganz persönlich, wobei mein erster Eindruck mich zunächst an eine Naturmeditation denken lässt. Aber vielmehr glaube ich, es kann eine innere Einkehr sein, ein Eintauchen und weg vom da Draußen. Mir stellt sich hierbei die Frage, wieviel Wichtigkeit hierbei in den so betitelten „Nichtigkeiten“, den „VOID-Parts“ liegt. Oder sind sie vielmehr der Höhepunkt des Pulsierens in der Tiefe und alles drumherum nur ein Übergang, ein Vorbereiten auf das Innehalten? Und so führt „VOID I“ mich in ein Gefühl der Endlosigkeit, in ein Meer der Gefühle – wenn auch verhalten, durch die gedämpft schreitende Orgel, ehe „es“ – das, was soeben noch unangreifbar, einfach existierte – aufbricht. Verspielt und doch irgendwie melancholisch nimmt dich die Harfe mit, doch die Orgel schreitet weiter bedächtig, irgendwie, als wolle sie die Erinnerung in dir halten, obwohl du doch davongleiten willst… Nimmst du sie wahr? Sirenengleich? Oder doch nur eine Täuschung? Zart, gezupft, ein Auf und Ab – doch dann: Düster, bedrohlich, Trommelschläge. Die wabernde Masse will aufkeimen, doch dein zartes Tönchen hält noch den Kopf oben, bekommt Zuwachs, hoch und lieblich. Du gleitest hinfort. Und dann kommt „Carbon“ – der Übergang? Und du erkennst, wohin du dich treiben lassen hast. Denn du hörst das Rauschen, die Wassertropfen, die von einer dunklen Höhle zu tropfen scheinen, um dich daran zu erinnern, dass die Realität noch da ist. Es lauert – flirrendes Wasser, und der Hintergrund rotiert, wenn auch zurückhaltend und fast versteckt. „VOID II“ fängt dich gezupft und streichelnd, lieblich hoch und mehrstimmig wieder ein. Hier und da schreitet der Grund dunkel mit. Die Töne werden tragischer und impulsiver. Hörst du den Singsang oder wieder nur ein Hirngespinst? Stetig wiederholte Klangpassagen haben etwas von Melancholie. Erträgst du die Stille? Was sagen dir die Stimmen in deinem Kopf? Und die Klänge tragen fast ein bisschen Verzweiflung für mich. Und dann hörst du ihr Flüstern: „When the silence speaks to me...“ Und sie fleht um Antwort. Sag ihr doch, was es bedeutet! Bearbeitet und ekstatisch wird es ausgerufen. „… on my hand, on my skin… every breath that I take…“ Doch dann hüllst du dich wieder in süße Zartheit. Aber gefahrvoll bricht die Orgel hervor. Als nächster „Übergang“ erscheint mir „Amber“ – gefahrvoll wabernd, pausierend. Das Rauschen! Endlos! Der dunkle Strom… Die Brandung schlägt, es bleibt dunkel lauernd, ehe dich in „VOID III“ wieder flirrend verspielte Töne mitnehmen, unter denen es verhalten und schreitend, stetig weitergeht. Es ist windig. Du hörst das Gewitter! Du bist mittendrin. Bist du das Gewitter? Willst du endlich ausbrechen, damit du Ruhe finden kannst? Hohe Töne spielen mit dir. Sie sind wie dein befreiender Regen. Doch die Orgel tritt melancholisch wieder hinzu und will sie verschlingen. Bedrohlich und dann wieder verspielt. Und dieser Singsang! Wenn im Netz der Vergleich zur Filmmusik gezogen wird, dann trifft es hier wohl am ehesten zu. Wo bist du also? In deinem Meer? In deiner Höhle? Deine Einkehr? Dein Ort fernab? Einfach atmen. Und in „Breath“ hörst du nur noch das Wellenrauschen. Insgesamt wirkt das Werk auf mich außergewöhnlich, besser gesagt: Sonderbar. Man muss sich schon darauf einlassen können. Meins ist es nicht, aber wer es etwas „klassischer“ mag und „VOID“ tiefgründiger entdecken will, ist hier bestens bedient. 27.11.2020 Golden Antenna [www.corecass.bandcamp.com] 01. VOID I 02. Carbon 03. VOID II 04. Amber 05. VOID III 06. Breath