Wie war das doch noch gleich in alten Zeiten, als dem Menschen jegliche Möglichkeit abging, Töne zu konservieren. Natürlich konnte man Noten und Texte niederschreiben oder persöhnlich weitergeben, aber zu hören bekam man die Sache erst, wenn die Hauskapelle in der heimischen Burg aufspielte oder zumindest das Wanderradio Troubadix einen Besuch abstattete. Da machte es dann auch nichts, wenn alle doch entweder die immergleichen Lieder mit den immergleichen Instrumenten spielten oder eben aufgrund der beschränkten Klangerzeugerauswahl die meisten Songs eine gewisse Ähnlichkeit aufwiesen – der Genuß war meist sehr selten und dann alkoholgeschwängert und damit nie wirklich langweilig.

In der heutigen Zeit ist das dann schon wieder ganz anders – die meisten haben in ihrer Kindheit ein Instrument spielen gelernt, ein gewisses Liedgutsortiment aus alten Zeiten ist erhalten worden und Musik aufnehmen kann wirklich jeder ohne große Probleme. Der Markt wird überwemmt mit Veröffentlichungen und es ist nun eben doch nicht wirklich etwas besonderes, eine CD in den Händen zu halten, die klassische Akustikmusik (Gitarre, Flöte, Violine und so weiter) mit weiblichen Gesang verbindet. Auch die Tatsache, daß zahlreiche Gastmusiker (Spiritual Front, Dwelling, Ashram,...) Riccardo Prencipe bei seinem Projekt unterstützt haben ist keine neue Idee. Dementsprechend nüchtern waren meine Erwartungen, als ich den Silberling von Corde Oblique in den Player schob (so übrigens der Name dieses Projektes, daß laut Bandbiographie bereits 2005 eine CD veröffentlicht hatte.

Die Review zu "Respiri" findet sich auch auf diesen Seiten, ich war aber unwissend und kann die beiden CDs nicht vergleichen). Immerhin war bereits klar, daß es kein zweimillionstes „ai vis se lo lop“ geben wird, denn alle Lieder stammen aus der Feder von Riccardo Prencipe. Wie groß meine Überraschung war, als ich mit dem Ende des ersten Durchlaufs sofort auf Repeat drückte, kann ich kaum beschreiben. Die CD klingt wie erwartet klassisch, die Kompositionen vermitteln ein mediteranes Flair (lässt sich wohl auf die Tatsache zurückführen, daß Herr Prencipe Italiener ist) mit ordentlich mittelalterlichem Einschlag. Warum will ich dieses Werk also ins Töpfchen sortieren, während 90% der anderen Releases der letzten Zeit ins Kröpfchen kommen ? Klassisch aber frisch, schön aber nicht kitschig, akustisch aber nicht langweilig und vor allem von erstklassigen Musikern eingespielt – das ist „Kunstwollen“ (so die deutsche Übersetzung von „volontà d'arte“, die sich auf der Homepage findet).

Da die CD einen Haufen Gastmusiker versammelt hat und dementsprechen bei jedem Lied jemand anderes klimpert oder singt werde ich mich nur auf die ersten Einsätze von Sängern beschränken, da gerade der Gesang ein elementarer Teil dieser Musik ist und sich meist beim Einsatz des Gesanges entscheidet, ob man das Stück mag oder nicht. Alle weiteren Musiker und deren Verteilung finden sich auf der Homepage (und wahrscheinlich auch im Booklet, das mir leider nicht vorliegt). Mit „Cantastorie“ beginnt der Reigen mit einer langsamen Akustikgitarre und leichtem Violineneinsatz. Der Gesang von Gastsängerin Nummer eins (Caterina Pontrandolfo) ist wirklich gut aber man befürchtet schon ein typisches Schmachtelied. Wenn aber nach einer Minute die Geschwindigkeit angezogen wird und die ganze Atmosphäre mitsamt vorantreibenden Drums losgelöst und voller Energie ein Lächeln auf die Lippen zaubert, dann weiß man : alles wird gut. Vor allem der Refraingesang ist kraftvoll und bezaubernd.

Wer akustische Musik mag und sich mal wieder einen Neuzugang leisten könnte, sollte eigentlich sofort zum Plattendealer seines Vertrauens rennen, denn allein dieses Lied stellt einen Kaufgrund dar! Alle anderen bitte weiterlesen, denn es folgen 12 weitere Kaufgründe (das Niveau wird auf fast der gesamten Länge der Spielzeit gehalten) : „Amphiteatrum pueteolanum“ bietet eine ruhige Atmosphäre, mittelalterliche Tröten (ich bekenne mich schuldig : ich weiß immer nicht, welches nun welches ist) und südländisches Flair (vor allem Dank der Percssions). „Casa hirta“ ist vom Aufbau her sehr an den ersten Song angelehnt (erst ruhig und irgendwann gewinnt die Melodie an Fahrt) und Gastsängerin Nummer zwei (Floriana Cangiano) ist auch absolut hörenswert. Es folgt „Before Utrecht“, mein persönlicher Favorit auf diesem Album. Zwar sind alle Sänger auf „Volontà d'arte“ talentiert und gut, aber dieses kleine Akustikjuwel verzaubert mit seiner frühlingshaft leichten Piano-Melodie einfach auf voller Länge und schlägt in meinen Ohren alle anderen Titel. Auch wenn im Moment eher graues Wetter mit grauem Regen und grauenhaftem Wind herrscht, habe ich bei diesem Titel Lust, über eine Wiese zu hoppeln. Aber bevor das geschieht, hält mich „Atheistc woman“ am Player : die Stimme erkennt man als Spiritual Front Kenner sofort wieder, Simone Salvatori raunzt zu einer getragenen Melodie ins Mikrophon und wieder bin ich einfach begeistert. Dank der Stimme und der Stimmung der Melodie klingt der Song recht schwer nach NeoFolk und wieder mündet der Song in einem kraftvollen Abschluss (dieses Stilmittel wird aber bei guter Anwendung (wie in diesem Fall) nicht langweilig). „Kaiowas“ kommt ohne Gesang aus, die Stimmung ist sehr gelöst und auch wenn hier kein Banjo zu hören ist, sehe ich vor meinem Auge eher Schiffchen auf dem Mississippi schippern als irgendwelche europäischen Motive. Sei's drum, der Song passt wunderbar auf diese CD und sorgt für weitere Abwechslung.

Überhaupt schafft es Corde Oblique, dass es nie langweilig wird – immer wieder wechseln Stimmung und Geschwindigkeit bei den einzelnen Tracks und auf fröhliche Lieder folgen sehnsüchtige Schmachtetracks. So auch bei „My habour“, bei dem besonders die fast schon poppig anmutende Gesangslinie von Sergio Panarella an die Boxen fesselt. Der Titelsong (zumindest nach einer Übersetzung) „Kunstwollen“ erinnert nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, daß wieder Caterina Pontrandolfo singt, an das erste Lied. Die beiden folgenden Tracks sind meiner Meinung nach die schwächsten auf diesem Album. Das soll nicht bedeuten, daß es sich um schlechte Lieder handelt, aber das restliche Material ist so gut, daß diese beiden etwas verblassen. „Panneggio“ ist ein nettes Akustikstück ohne große Ecken und Kanten und bei „Cuma“ kommt dann doch die eine Sache zum Einsatz, die mir diese Musik häufig etwas verleidet. Claudia Florio ist gewiss eine gute Sängerin, aber ihr Sopran geht mir schwer auf die Senkel – das klingt so gequält und zu sehr gewollt und will dann irgendwie nicht zu der lebhaften Musik passen. Da gehen die Meinungen aber gewiß auseinander. Also lieber weiter zu Lied Nummer elf : „La pioggia sui tasti“ wartet wieder mit einem gefühlvollen Pianospiel auf, fesselt den Hörer und trägt ihn fort. Positiv fällt hier auch wieder auf, daß sich Riccardo Prencipe's Melodien nicht gleichförmig durch die Lieder ziehen : häufig, auch in diesem Fall, verändern sich Melodie und Stimmung der Titel zur Hälfte des Liedes, sodaß der Langeweile keine Basis gelassen wird.

Catarina Raposo sang „Olhos cinzentos“ ein und wieder kann man erkennen, wie sehr doch der Gesang an die eigentliche Hauptband erinnern läßt – in diesem Fall erinnert die Musik sofort an Dwelling, romantisch, traurig und auch beim Medienkonverter zu finden. Mit dem Akustikstück „Piazza Armerina“ endet eine Stunde wundervoller Musik und mir bleibt nur, die volle Punktzahl zu vergeben und erfreut festzustellen, dass es doch schön ist, dass man heutzutage Musik konservieren kann und jeder (der es möchte) Corde Oblique in seine eigene Burg holen kann. Ach ja, wie oben erwähnt lag mir das Booklet leider nicht vor, sodass ich nur das Covermotiv in den Händen halten kann. Und hier muss ich an einziger Stelle murren, denn gelungen ist das Motiv nicht – weder von der Stimmung, die sich in der Musik finden wird, noch von der Qualität her will die Collage vom Jungen vor den Kerzen zum Rest passen und im Laden hätte ich eine CD mit diesem Motiv sofort links liegen gelassen. Und das wäre sehr schade! Dafür kann die Internetpräsenz entschädigen, die hübsch gestaltet ist und auch Möglichkeiten zum reinhören bietet – ein Besuch lohnt sich.