Im Allgemeinen bin ich ja gegenüber elektronischer Musik in allen Spielarten sehr aufgeschlossen. Aber, ich erwarte schon einen gewissen Grad an Authentizität und tatsächlicher Sinnhaftigkeit. Der Pressetext zum heute vorliegenden Album verspricht Folgendes:

"Der Titel verweist programmatisch auf das Thema dieses Albums, das inhaltlich eine durchaus ernst zu nehmende, respektvolle Auseinandersetzung mit dieser früheren Jugendkultur darstellt, die schon seit einigen Dekaden spürbar altert. Der Song 'Every Bloated Muscle' lässt sich beispielweise als persiflierende Hommage an den NITZER EBB EBM-Klassiker 'Murderous' verstehen – aus der Perspektive von 30 Jahren später."

Hier fängt es bei mir schon an, dass ich genervt bin. Denn jetzt gehen wir mal ganz vorsichtig darauf ein, was genau denn Gothic mit EBM zu tun hat. Richtig, Null, Nada, Niente. Gothic (nach unserem heutigen Verständnis) und EBM haben sich zwar relativ parallel entwickelt und minimal auch dieselben Wurzeln im Wave und Post-Punk, das jedoch war es dann auch. EBM mit Gothic gleichzusetzen ist, als ob man Depeche Mode und Cannibal Corpse demselben Genre zuordnet. Gothic ist der Rockmusik zuzuordnen, während EBM eben der elektronischen Musik zuzuschreiben ist. Quasi Pikes und Stiefel, zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Selbstverständlich hat auch der Song ""Every bloated Muscle" nichts mit "Murderous" gemeinsam. Allein ersteren als "Hommage" zu bezeichnen ist eine Beleidigung. Während CLICKS mit "Every bloated Muscle" einen relativ langweiligen Electro-Stumper fabriziert haben, ist "Murderous" von Nitzer Ebb nach wie vor ein geiler, wütender und zu jeder Sekunde aufregender Titel. 

An dieser Stelle eine kleine Anekdote. Ich hörte "G.O.T.H." auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn. Ich habe zwischendrin etwas hin- und hergeskippt. Dann wollte ich die Wiedergabe bei dem Titel fortsetzen, den ich zuvor unterbrochen hatte. Ich hab ihn nicht mehr gefunden. Genau dies ist hier das Problem. Das ist alles ganz netter Electropop. Es passiert viel und die Programmierungen sind gut gemacht. Das Mastering hat auch geklappt. Aber wirklich jeder einzelne Titel ist vergessenswert. Im Pressetext wird gesäuselt: "So funktioniert musikalische Selbsterneuerung, ohne vom Bewährten zu lassen: CLICKS' "G.O.T.H." ist die Antithese zu allen schlechten EBM-Industrial-Klischees der letzten zwei Dekaden!" Ähm, NEIN! Um ein Klischee auf die Schippe zu nehmen, darf man sich nicht zu ernst nehmen. Aber genau das passiert hier. Zu keiner Sekunde blitzt irgendwo Ironie hervor. Ein Versuch EBM und Industrial mit austauschbaren poppigen Soundkollagen zu persiflieren, bei denen der Sänger stellenweise wie der Zwillingsbruder von Stephan Groth (Apoptygma Berzerk) klingt, verbietet sich ja quasi von selbst. Und was genau sind denn die hier auf`s Korn genommenen schlechten EBM-Industrial-Klischees? Wenn man eine derart vorwitzige Behauptung aufstellt, dann sollte man das Kind bitte auch beim (Band)Namen nennen. Könnte es vielleicht sein, dass dem Schreiber des Werbetextes bewusst war, dass hier nichts weiter als austauschbarer Synthiepop geschaffen wurde? Hat man das Album im Nachhinein als Persiflage belabelt, um es doch noch unter`s Volk bringen zu können?

Wieder haben wir es mit einer Mogelpackung zu tun. Der Pressetext verspricht vollmundig etwas, was die Veröffentlichung zu keiner Sekunde halten kann. Das mittlerweile dritte Album (nicht, wie fälschlicherweise behauptet das zweite!) der polnischen Band CLICKS könnte denjenigen gefallen, die in den 90ern mit Bands wie S.P.O.C.K. ihren Spaß hatten. Eben Electropop, der keinem wehtut, aber ebensogut auch im Hintergrund einer Blumenbeetbepflanzung laufen könnte.

Passend zur Gartensaison erscheint G.O.T.H. am 16.04.2021 bei Dependent als CD und in identischer Download-Version.

Ich setz noch einen Link, aber mehr Lebenszeit will ich hier nicht investieren.