Wiederveröffentlichung eines Klassikers oder überflüssiges auf den Markt werfen eines zu recht unbeachteten Albums? Das wird die Frage sein, über die sich Liebhaber der elektronischen Musik in den nächsten Wochen bzgl. des Re-Releases des Camouflage Albums ‚Spice Crackers’ in die Haare bekommen könnten. - Let's follow the frequency into the lower range, let's listen to the succession of notes without overtones - Es ist schon richtig, mit ‚Love is a shield’ hat das Album nicht mehr viel gemein, zumindest vom Genre her, wer jedoch etwas genauer zuhört, wird schnell Gemeinsamkeiten über die Stilrichtung hinaus feststellen können. Das bereits fünfte Album war schließlich auch nicht der erste Versuch der Bietigheimer von bequemen, ausgetretenen Wegen abzuschweifen in eine Welt, die Basics beibehält, diese allerdings in neuen Klangdimensionen ausgestaltet. Schon ‚Meanwhile’ mit seiner akusitsich-analogen, gitarrendominierten Instrumentierung ließ die Fans abwandern, die den ewigen Einheitsbrei fordern und die Fans bleiben, die offen für Neues sind – so lange dies musikalisch gekonnt aufbereitet wird. ‚Spice Crackers’ führt den Hörer in die genau entgegengesetzte Richtung, denn hier dominieren Loops, elektronische Sounds und hypnotische Songstrukturen. Eher als Tracks wurden die Kompositionen von der Band selbst gesehen und was letztendlich auf dem Album landete waren schon die kommerzielleren Ergebnisse der Sessions. Deutliche Einflüsse zwischen den Ambient-House Bands der Neunziger und cineastischen Soundlandschaften a la Bladerunner wusste Heiko Maile damals zu einem Fundament zu giessen, auf das Markus Meyn seine Stimme gewohnt weich aufbringen konnte. Der Gesang trägt sicherlich maßgeblich dazu bei, dass man die Band wieder erkennt, allerdings ist locker die Hälfte der Songs des ursprünglichen Albums instrumental gehalten oder wird schlicht durch Samples ergänzt. Die hypnotische, trilinguale Ausprägung des auf der letzten Tour nur selten vorgetragenen Stücks ‚Kraft’ ist dabei genau so einzigartig wie das Vocoder-dominierte ‚Je Suis le Dieu’. Große Stücke mit fraktal aufgefächertem Ideenreichtum für eine damals noch konstant präsente Band. Für die Synth-Popper in ihren Depeche Mode T-Shirts gab es mit ‚X-Ray’ auch einen klassisch motivierten Song zur Besänftigung, das ganze Album konnte man den ewig Gestrigen jedoch wohl kaum beibringen, obwohl ‚A Place in China’ durchaus auch im Basildon-Style hätte produziert werden können. Ist es also nun angebracht, das zwiespältige Werk nochmal zu veröffentlichen und auch noch eine CD mit noch sperrigerem Material als Bonus hinzuzufügen? Klares ‚Ja’, zum einen, weil die Original CD unglaublich gut remastered wurde und so teilweise ein ganz neues Klangerlebnis bietet, zum anderen sich der Gedanke und der ganzheitliche Spirit hinter der Platte besser erschließen lässt. Wer bereits mit ‚Spice Crackers’ im 95er Original seine Probleme hatte wird hier zwar auch nicht die Glückseligkeit finden, allen anderen sei jedoch zumindest mal das Reinhören ans Herz gelegt. Schließlich ‚versagte’ das Album damals nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Promotion der Plattenfirma, die natürlich lieber einen Oboen-gespickten neuen Hit auf den Markt geworfen hätte als eine experimentell angehauchte Electronic-Symphonie. Aber was ist denn nun drauf auf der zweiten CD? Da wären zunächst zwei B-Seiten und der Aural Float Remix von ‚Bad News, die herausstechende Neuinterpretation von Gabriel Le Mar, die leider einer der wenigen Mixes war, der auf dem Triple-Vinyl der Single zu überzeugen wusste. Weiterhin enthalten sind mit ‚Space Train (Ambient Mix), ‚Eros Lunch’ und ‚Liberation’ meditativ ansprechende Tracks enthalten, die direkt an System 7 und stückchenweise auch an The Future Sound of London erinnern. Die beiden Auszüge der ‚Kröppelshagen Tapes’ (Jesus! Was ein Name!) zeigen die experimentellen Camouflage und ergänzt wird das Ganze von Demos und alternativen Versionen einiger Album Tracks. Damit ist CD 2 eher etwas zum bewussten Hinhören; die entspannte Hochwertberieselung gibt’s weiterhin besser mit dem eigentlichen Album. - The secret of spice seems to follow, the journey about to begin, the time you will spend won’t be wasted, no matter the steward may bring. Come taste them one by one, the crackers he lays in your hand - Da hoffen wir mal, dass die neue Edition bei Bureau B diesmal etwas mehr Beachtung findet als die Veröffentlichung der Neunziger. Denn für mich ist ’Spice Crackers’ noch immer das schönste Camouflage Album (und das behaupte ich stringent bereits über Jahre im Camouflage Forum!) und somit macht es mich glücklich, diesen formschönen Digipak mit all seinen musikalischen Spice-Cookies bereits vor Veröffentlichung in den Händen zu halten und die Neuigkeiten schon vorab in die Welt tragen zu können. Denn wahre Schönheit will gefunden und dann auch erst mal erkannt werden! Ein paar Hintergundinformationen zur Veröffentlichung von Heiko Maile persönlich gibt's bei Interesse noch hier zu lesen.