Ein bloßer Zufall trieb mich in das „Secret kingdom of Avrigus“, das Digipack funkelte entzückend im Regal und ich musste unweigerlich zugreifen und konsumieren und erobern. Das war vor sieben Jahren, 2001, und die Musik auf diesem Album entpuppte sich als über die Zeit erhabenes Bollwerk des Gothic/Doom Metals. Kaum zu glauben, daß dieses geheime Königreich tatsächlich vielen Menschen verborgen geblieben ist, denn wenn man diese zehn Meisterwerke zu hören bekommt, könnte man meinen, daß das australische Duo nach der Veröffentlichung in aller Munde hätten sein müssen. Doch die Zeit hatte etwas anderes mit den beiden vor und so kam es nach sechs Jahren ohne neue Lieder im Mai diesen Jahres dazu, daß Judy Chiara das Projekt verließ und Simon Gruer nun alleine an einem neuen Album arbeitet. Ob die Magie noch einmal entfacht werden kann ist fraglich, denn das „Secret kingdom of Avrigus“ wurde von Judy Chiara quasi allein komponiert und ihre Stimme ist ein ebensowichtiger Teil dieses schleppenden Bollwerkes wie die instrumentale Aufbereitung durch Gruer. Schlagzeug, Akustik- und E-Gitarre, Bass und Keyboards – Gruer traute sich an alle Instrumente und setzte die von Chiara entwickelten Ideen kreativ und wundervoll um. Nicht die Perfektion oder die Besonderheiten im Spiel zeichnen Avrigus aus, sondern das Zusammenspiel aller Elemente: Die E-Gitarren und der Bass, wenn sie zum Einsatz kommen, drücken den Hörer in die Sitze, sind bleischwer und vermitteln eine zermürbende Trauer in den Stücken. Die Keyboards und das von Chiara gespielte Piano schmücken das Königreich mit Melancholie und Schwermut, oft werden auch Geräuschsamples und -untermalungen hinter die Melodien gemischt um die Welt von Avrigus mit Leben zu füllen und das Schlagzeug schleppt sich und den Hörer durch diese traurige und geheimnisvolle Welt. Und dann wäre da noch der Gesang – dieser wird von beiden Musikern übernommen. Und während Gruer verletzlich und gefühlvoll leise seine Zeilen bestreitet trumpft Judy Chiara auf, erfüllt die Kompositionen mit Chören, leichten Gesängen und hohen und kraftvollen Momenten. Beide Musiker sind zwar keine professionellen Sänger und man kann ab und an kleinere Unsicherheiten heraushören, aber das ist ein so nichtiger Punkt, wenn man sich überlegt, daß dieses meisterhafte Königreich wie aus dem nichts geschaffen wurde und die beiden trotz der kleinen Schwächen einen besseren Job machen wie die meisten Musiker. Die „Overture“ entführt den Hörer langsam heraus aus unsere Welt und öffnet die Pforten des geheimen Königreiches. Doch dann heißen die drückenden Gitarren von „Solitude * Salvation“ den Hörer heftig willkommen. „Dark angels'ascension“ ist ein Doom Metal Stück aus dem Bilderbuch, mit „Veritas“ schließt sich daraufhin ein reines Aukustigstück an, der Gesang von Judy Chiara kann dabei im Zusammenspiel mit der Akustikgitarre wirklich für feuchte Augen sorgen. Dann ein rüdes Sample eines Kampf gegen mystische Wesen und mit „Qliphoth“ wartet der stärkste Titel des Albums auf den Hörer: die Zweiteilung aus männlichem Gesang zu leiser Akustikmusik, die immer wieder unterbrochen wird durch metallische Momente, in denen Chiara kraftvoll und melancholisch zugleich singt, funktioniert einfach perfekt. „Desolate“ ist ein Ambientstück, daß wunderbar im Konzept der Erzählung von Avrigus aufgeht, während „Flesh“ wieder doomig, schleppend und monumental auf den Hörer einstürzt. Das sehr theatralische „'til death do us unite“ wartet mit recht hartem Riffing und sehr pathetischen Melodiebögen auf, „Shade of my heart“ ist ein weiteres gelungenes Ambientstück und „The Grail“ fast alle Stärken des Albums noch einmal zusammen und beschließt damit den Besuch im Königreich von Avrigus. Doch wem könnte der Besuch des Königreiches gefallen? Ich bin mir sicher, daß sehr viele sich in dieser zauberhaften Welt verlieren könnten: Ob man nun aus dem NeoFolk oder der NeoKlassik (geht bei beiden auch ohne das Neo-Vorzeichen) kommt und vor E-Gitarren nicht zurückschreckt, ob man nun Doom oder Goth Metal hört oder sich doch eher Metalbands mit hohem Frauengesang verschrieben hat und mal auf Doublebass und Rondo-Veneziano-Keyboards verzichten kann. Sogar Freunde der epischen und symphonischen Spielarten des Black Metal werden Avrigus heimlich hören, auch wenn es die „truen“ Freunde nicht gerne sehen werden. Ein absolutes Meisterwerk droht immer mehr in Vergessenheit zu geraten - wer macht sich auf die Reise um das Königreich davor zu bewahren?