Archive sind eine Band, oder besser ein Künstlerkollektiv, das sich seit seiner Gründung Mitte der Neunziger mächtig weiterentwickelt hat und das nicht nur auf ihren Tonträgern, sondern auch live. Lang ist es her, dass man die Mannschaft um Darius Keeler alleine mit Trip Hop und Zahnarztlampen am Flussufer der Themse verbunden hat. Vielmehr haben Archive es geschafft, sich ähnlich wie Massive Attack auch mal mit anders strukturierten Songs zu befassen. Dabei kommen mal herzzerbrechende Balladen wie ‚Goodbye’ heraus, dann zuckersüße Hasstiraden wie ‚Fuck U’ oder auch immer mal wieder episch, sich stetig wandelnde Fünfzehnminüter, vor denen sich Archive auch Live nicht fürchten. Und genau mit einem solchen Epos geht es auf der CD los, nachdem Athen in schwarz-weiss ein wenig surreal zunächst aus der Luft und dann auf dem Weg zum Venue mit Fokus auf rieseigen Anzeigetafeln und Strommasten präsentiert wurde. Angekommen in Farbe gibt es zu den ersten Klängen von ‚Light’ noch ein ein paar Backstagebilder, bevor die recht simple aufgebaute Bühne in den Mittelpunkt des Filmes rückt. Archive arbeiten ausschließlich mit Stimmungen und Farben und verzichten auf Schriftzüge, Aufbauten oder andere Effekte. Nach drei Minuten setzen die ersten Beats ein und bauen so ein Intro auf, das vom Spannungsbogen besser nicht sein könnte. ‚Lights’ gibt dem Publikum damit die Möglichkeit langsam anzukommen und in das Klanguniversum einer Band einzutauchen, die eigentlich neben Radiohead oder Massive Attack die grossen Hallen rocken sollte. James Tonkin ist der Regisseur und filmt das Spektakel in HD. Schnell merkt man, dass es hier zwar wenig statische Einstellungen gibt, Hektik kommt jedoch an keiner Stelle auf. Die satten Farben der bombastischen Lightshow werden herausgearbeitet und zeigen neben den klassischen Aufnahmen auch mal die Schuhe Keelers auf einer reflektierenden Bühne. Echt gut gemachte Live-Musik von knapp zwei Händen voll etablierter Musiker vor gleißendem LED-Farbrausch, da sind wir bei Minute elf angekommen. Das Pony fällt ins Gesicht und Pollard singt sauber die lang gezogenen Töne des Openers. Zweimal glaubt das Publikum mit zögerlichem Applaus, dass nun der zweite Track dran wäre, bevor dies nach achtzehn Minuten tatsächlich der Fall ist. Der Schwerpunkt liegt bei der Songauswahl darauf, die vier Parts der ‚Controlling Crowds’ Veröffentlichungen live zu präsentieren und so kommt ungefähr die Hälfte der Songs von den beiden dazu veröffentlichten CDs. Mindestens einen Song aller anderen Alben hat die Band jedoch auch ins Programm eingebaut und natürlich fehlt nicht ‚Londinium’, der Song, mit dem alles begann. ‚Fuck U’ ist auch am Konzertabend in Athen einer der Favourites des Publikums. Bereits nach wenigen Tastenanschlägen jubelt das Publikum und zeigt deutlich Textsicherheit. Visuell hat man die leisen Parts des Songs in cooles Schwarz-Weiß getaucht und schaltet die Farbe wieder hinzu wenn der Gitarrenpart im Refrain losbricht. Maria glänzt unter anderem bei ‚You Make me Feel’, das ein wenig wie Portishead klingt, nachdem die mit ‚Third’ die jazzigen Trip-Hop Momente ad acta gelegt hatten. Zu erwähnen ist allerdings, dass ‚You Make Me Feel’ natürlich bereits neun Jahre vor diesem Werk das Licht der Welt erblickte. Auf den LED-Wänden im Hintergrund laufen einfache aber effektvolle Projektionen, die davon profitieren, dass man mit den löchrigen Leinwänden auch Scheinwerfer aus dem Off einsetzen kann. (Schnelle) Drums und (tiefer) Bass, das ist oftmals die Geheimwaffe der Engländer, wenngleich sie damit nie den Indie-Bereich in Richtung Club verlassen. Nach dreizehn regulären Songs folgt in der ersten Zugabe dann rosa-grünes Lounge-Feeling mit ‚Londinium’, das sich natürlich auch zum wabernden Kraftpaket entwickelt, wie sollte es anders sein! Ganz zum Schluss kehrt mit ‚Again’ noch einmal bedächtiges Lauschen bei den Zuhörern ein die Mundharmonika unterstützt dabei passend und gekonnt bevor sich die Band an diesem Abend noch einen letzten musikalischen Outbreak erlaubt. Sechs Interviews mit den Bandmitgliedern ergeben eine zusätzliche Stunde Material, mehr Extras gibt es nicht. ‚Live In Athens’ macht Laune, die Band auch einmal live zu erleben. Drei Möglichkeiten gibt es demnächst. Wer große Gefühle mag, der muss nach Berlin reisen, denn dort spielen die Damen und Herren mit Orchester, während in Karlsruhe und Würzburg ein elektronisches Set zum Besten gegeben wird. Gut gespielt und gut in Szene gesetzt mal wieder ein Konzertfilm, der nicht mit MTV-Geschäftigkeit nervt, gleichzeitig aber auch über zwei Stunden nicht langweilig wird.