Auf den ersten Blick scheint es erstaunlich, dass Alfa Matrix immer wieder Bands aus den Neunzigern zu einem Comeback überreden kann. Wenn man aber weiß, dass hinter dem belgischen Label nicht nur zu dieser Zeit aktive Musiker (z.B. von !AiBoFoRcEn) stecken, sondern auch die Macher von Side-Line, ist es keine so große Überraschung mehr. In den Neunzigern war das englischsprachige Magazin einer der wenigen Gründe zum Düsseldorfer Hauptbahnhof zu fahren, sowie eines der ersten in der Szene, dass eine CD-Beilage mitlieferte. Dabei wurden die vielen aufstrebenden deutschen Electrobands wie Plastic Noise Experience, Placebo Effect, Page12 oder yelworC gerne unterstützt. Letztere Band, benannt nach Aleister Crowley, hat sich 1992 mit dem Debüt „Brainstorming“ direkt in die Herzen der Electrohörer gespielt, leider stieg schon vier Jahre später Dominik van Reich aus.

Anfangs konnten die Fans auf eine Win-win-Situation hoffen. Van Reich gründete amGod und das Album „Half Rotten And Decayed“ schlug ein wie eine Bombe. Parallel arbeitete Peter Devin an einem weiteren yelworC Album namens „Trinity“. Leider erschien dieses Werk erst Jahre später und auch um amGod wurde es immer ruhiger. Bis jetzt. Denn Ende November erscheint „Dreamcatcher“. Kurz nachdem endlich auch „Trinity“ erschienen ist. Wo das neue yelworC Album sehr atmosphärisch geworden ist, lebt bei amGod 2010 der harte, treibende und komplexe Sound wieder auf, der vor gut 15 Jahren für Furore gesorgt hat. Wobei den geneigten Hörer ein hartes Stück Arbeit erwartet. 26 Songs bei gut 130 Minuten Spielzeit müssen erst einmal gehört, erfasst und verarbeitet werden.

Ich gestehe, dass ich mich bei den ersten Durchläufen an ein gutes Essen erinnert fühlte, bei dem der Teller so voll ist, dass man schon vom Anblick satt ist. Nicht leichter macht das Ganze der Umstand, dass „Dreamcatcher“ Kopfhörermusik ist. Zum nebenbei konsumieren taugt amGod auf keinen Fall. Auf der ersten CD „Creeped & Bloody“ wird die gute alte Schule gepflegt, wobei die Liebe zu Skinny Puppy nicht verhehlt wird („Absorb“). Das Tempo variiert, leider erreichen die treibenden Songs wie „Massaker“ oder „Like A Prayer“ (trotzdem ein Anspieltip) nicht die Klasse von „Fire“ oder „In The Orbit Of A Comet“. Auflockerung bringt das finstere „Deep Down“. Am schnellsten hängen bleiben „On The Hunt“ (nett einen fast 6 Minuten langen Song den Anhang „Short Mix“ zu geben) und die 2010er Version von „Stigmata“ (fast 14 Minuten!) mit schönen Percussions. Der zweite Silberling „Harsh & Dirty“ zeigt laut van Reich eine neue Seite von amGod und der Münchner integriert unter anderem Gitarren. Abgesehen davon gibt es auch hier typischen Stoff. Inklusive einer enttäuschenden Version des alten yelworC-Hits „Soulhunter“. „Crime 2010“ hat hingegen ordentlich Feuer. Im Anschluss lässt „Cultures“ aufhorchen mit seinen Ritual- oder auch Tribaleinflüssen. Auch das klassisch angehauchte „The Guilty Have No Rights“ ist sehr gelungen. Davon gerne mehr! Insgesamt muss ich aber sagen – in Summe bitte weniger.

Jetzt ist diese Rezension ähnlich lang wie das Album (Hut ab vor allen, die es bis hier geschafft haben), „Dreamcatcher“ ist aus meiner Sicht zu voll gepackt. Bei aller Liebe zum Detail, es ähneln sich dann doch viel Songs. Natürlich ist man als Musiker in einer Zwickmühle. „Value For Money“ gegen die illegalen Downloads oder ein kleines, aber feines Paket? Ich würde für letzteres plädieren. Und bin schon fast froh, dass mir die dritte CD „Slaved & Deeple“ nicht vorliegt. Zehn bis zwölft ausgesuchte Songs würden „Dreamcatcher“ eine noch bessere Bewertung bescheren. Nichts desto trotz gilt, vor allem für Fans der ersten Stunde bietet dieses Album viel zu entdecken.