Spröde Piano-Parts thronen verlassen über kühler Elektronik... Eigenartige, schleppende Rhythmen, wirre Geräuschcollagen, konfuse Sound-Effekte tragen eine gleichermaßen entrückt-elfengleich wie auch psychotisch, oft scheinbar weit jenseits der Grenze des Wahnsinns balancierende weibliche Gesangsstimme durch eine bizarre akustische Welt. Und erst die Bilder... Eine Sendestation auf dem Turm von Babel; aberwitzige Maschinen, geisterhaft schwingende Schädel, ein Labyrinth aus kalten Fliesen und ein nachtschwarzes, unbewegliches Insekt, Blut aus einem Wasserhahn... Keine Frage, AMATEUR GOD gehören nicht zu jenen Bands, deren kreative Ergüsse sich einem sofort und beim ersten Hören offenbaren, ganz gleich, ob man "across the corners of our minds", das Zweitwerk des slovenischen Projektes nun über die Musik oder den ebenfalls darauf enthaltenen Video-Clip zu "openmindead" zu verstehen versucht. Irritierend - das ist wohl der Begriff, der einem durch den Kopf geistert, wenn man die knapp 60 Minuten des ersten Durchlaufs dieses Albums überstanden hat. Irritierend, wie sich AMATEUR GOD auf ganzer Linie konsequent neben allem bewegen, was man musikalisch an Genrebezeichnungen und Schubladen kennt. Irritierend, wie es die Musik schafft, sich erfolgreich allen einfachen Klassifizierungen zu widersetzen, viele vertraut wirkende Elemente und Assoziationen zu einem neuen, einzigartigen, eigenwilligen, überaus wirksamen Ganzen zusammensetzen: Ganz gleich, ob ruhigere Passagen von alten Tool-Platten, ob experimentell-hypnotische Stimmungen a la Portishead oder The Gathering, ob rituell anmutente Musik wie die von Ordo Equilibrio, ob chaotische Bedrohlichkeit im Stile des ersten Sundown-Albums oder abgedrehte Elektronik, wie sie Nine Inch Nails nicht besser machen könnten - AMATEUR GOD wirken wie die kreativen Köpfe, die mit Entschlossenheit völlig verschiedenartige Einflüsse zusammenwerfen, zusammenpressen zu einem abgeschlossen, durchdacht, aber trotzdem emotional wirkenden Werk von erstaunlicher musikalischer Vielfalt und absolut beachtlicher Intensität. Schwer einzuordnen die Stimmung, die Songs wie "openmindead", "longing for me" oder "army of optimists" hinterlassen; vielleicht ist der Opener "phobos - distorted memory" charakterisierender, als man es von einem kurzen Intro-Instrumental erwarten möge: Friedliche, aber irgendwie schräge Klänge einer Kinderspieluhr vor zurückhaltender, düsterer Elektronik, ein ständiger Balanceakt durch eine Welt, in der das Offensichtliche oftmals trügt und die Bedrohlichkeit jener Sphäre, die wir nicht zu erblicken vermögen, sich uns nur unterbewußt und unscharf, dafür aber umso wirkungsvoller, umso eindringlicher erschließt. H.P. Lovecraft's Bücher geistern einem unwillkürlich durch den Kopf, die Beschreibung eines omnipräsenten, unfaßbaren Verhängnisses, welches uns einhüllt, unser Gemüt erfaßt, uns eigenartige Gedanken und des Nachts bedrückende Träume beschert. Dies ist der Eindruck, den auch "around the corners of our minds" in Perfektion zu vermitteln vermag, beginnend bei dem gleichermaßen ästhetischen wie auch ob der dunklen Farben irgendwie unheimlich wirkenden Cover-Artwork über die eigenartigen geisterhaften Fotos im Booklet und das für sich selbst albtraumhafte Video bis, natürlich, hin zur Musik, die ihren Höhepunkt definitiv im reichlich zehnminütigen "white kites, black sky (my only enemy)" findet: Piano, sphärische Synthies, bedächtige Percussions, dazu sehr zurückhaltend eingesetzte, verzerrte Gitarren und der markante Gesang formen eine irrsinnigen, langsamen, beängstigenden Trip durch die dunklen Seiten der menschlichen Seele, durch die dunklen Seiten dieser Welt... Vermutlich ist diese Musik nichts für Zartbesaitete; auch all jene, die auf der Suche nach wahlweise clubkompatiblen, tanzbaren Klängen (wobei dort der Audioworx Evil Touch Mix von "openmindead" vielleicht gar nicht so fehl am Platze wäre) oder dem nächsten kommerziellen Superstar sind, werden um "across the corners of our minds" eher einen großen Bogen machen. Wer sich hingegen einen Balance-Akt aus dem ersten Chroma Key - Album, Ordo Equilibrio, Nine Inch Nails und Portishead auf Äther vorstellen kann, sich allgemein von ungewöhnlichen Klängen angezogen fühlt oder seinen Vorrat an Alben für sehr sehr dunkle Winternächte schon aufgebraucht hat, der dürfte am Zweitling von AMATEUR GOD seine helle(?) Freude haben. Ich für meinen Teil tendiere zu fünf Sternchen für ein sperriges, aber ab einem gewissen Zeitpunkt einfach fesselndes Werk mit definitiver Langzeitwirkung, bei welchem sich die Künstler in jeder Hinsicht sehr viel Mühe gegeben haben und welches ich in dieser Form schon viel zu lang nicht mehr in meinem Player hatte. Anspiel-Tipps: "openmindead", "longing for me", "the sun spit out another day".