2002 studierte ich noch in Greifswald und als es auf den Winter zuging und die Stadt sich unter einer weißen Schneedecke versteckte irrte ich in Erwartung einer minder spannenden Vorlesung abends durch die Stadt. Natürlich landete ich auch bei einem CD-Händler und forstete mich durch die Reihen – wie immer von hinten nach vorne (Ich bin ein Gewohnheitstier). Dementsprechend dauerte es eine Weile, aber plötzlich hielt ich diese CD mit dem grauen Hirsch auf grauem Grund in den Händen und hatte das Gefühlt, daß ich mal reinhören sollte. Agalloch waren mir bis dahin noch nie unter die Ohren geraten, ich war also frei von voreiligen Meinungen und ließ mich auf das Intro ein.... ...genau die Richtige Musik für diesen Abend – ich sah auch die Uhr, hatte noch eine halbe Stunde und schlug zu, ohne auch nur eines der „richtigen“ Lieder zu hören. Draußen hatte es wieder begonnen zu schneien und wer Greifswald einmal bereist hat, weiß vielleicht auch, daß die Beleuchtung in der Innenstadt mehr matt-orange als alles andere ist – und in dieser unwirklichen Winterszenerie setzte ich mich auf eine Parkbank und lauschte frierend den Klängen dieses Juwels. „a celebration for the death of man...“ leitet das Album ein, Pauken, Akustikgitarre und Keyboards bauen einen wehmütig-verklärten Stimmungsrahmen auf, eine tief gestimmte E-Gitarre gibt vereinzelte nach unten drückende Klänge von sich – ich erlebte dieses Intro mit Kopfhörern, empfehle jedem, daß er sich für den Genuß dieser CD auch nach draußen in die Natur (zumindest der Stadtpark sollte es sein) begibt und auch mit Kopfhörern lauscht. 

Der 14-Minuten Klopper „in the shadow of our pale companion“ folgt fließend, wieder werden die Melodien vor allem durch E- und Akustikgitarren erzeugt, das Schlagzeugspiel ist schleppend und zurückhaltend (wobei man nie langweilig-monotone Bumm-Tschak Parts zu hören bekommt, wie es so häufig bei ruhigem Metal zu hören ist). Und in dieser ruhigen und besinnlichen Stimmung setzen die Vocals ein – dem Hörer erwarten fünf verschiedene Stile des Gesangs : mehrstimmunger ruhiger Black Metal-Keifgesang, klare, kräftige und schöne (leicht kitschige) Vocals, geflüsterte Textfragmente, traurig-wimmernde Gesangsparts und geraunte Sprechpassagen. Alle Stile wechseln sich je nach Stimmung und Textinhalb ab, wobei diese Wechsel ineinander übergehen, nicht spezielle Parts zugewiesen bekommen haben und mitunter ein episch klar gesungener Refrain durch geflüsterte Worte beendet wird. Da gerade in letzter Zeit so oft Musik an mich herandrang, deren größtes Manko der Gesang war, muß ich einfach loswerden, daß hier alles richtig gemacht wurde. Zwar ist auch hier der Sänger kein Veljanov, Pete Steele oder sonstwer mit unglaublichen Organ, aber der Gesang wurde mühevoll an die Musik angepasst, die Stile wechseln sich perfekt passend ab, häufig laufen sie parallel auf dem rechten und dem linken Ohr/Kanal wodurch eine unglaubliche Spannung erzeugt wird. 

Die Musik selbst ist mehr oder minder eine Mischung aus ruhigem Rock der 70er, Folk und schleppenden GothRock. Immerwieder wechseln die Parts zwischen getragener Melancholie, aufbrausender Gewalt und 70er Jahre artigen E-Gitarren Soli (nie zu viel, meist nur kurz, immer passend – obwohl ich eigentlich Solis hasse). Man braucht Geduld, Ruhe und die richtige Stimmung, um sich auf „in the shadow of our pale companion“ einlassen zu können, aber ich empfehle jedem, der Bathory/Summoning oder Neo Folk mag und nicht für langweilige Musik hält, sich dieses Mammutwerk reinzuziehen. Die winterliche Schwermut geht weiter, „odal“ wird durch ein leicht dröhnendes Hintergrundgeräusch eingeleitet, daß so abgedämpft klingt wie Geräusche nur in Schneelandschaften klingen können. Das ganze ist ein 7-minütiges Instrumentalstück, ein Filler sozusagen, der einfach noch mehr in die Welt von „The Mantle“ ziehen soll – zu keiner Zeit überflüssig, vor allem die ausklingenden Pianotöne bringen einen ganz herunter und „odal“ endet so, wie es begonnen hat : mit Rauschen und Windgeräuschen. Die Black Metal Anteile der CD liegen nicht nur bei den Vocals, „i am the wooden doors“ beginnt wie ein typscher Vertreter des Pagan Metal/Black Metal (alte Suidakra, Ulver, Mephistopheles), wobei auch hier die Handbremse angezogen ist. Die Vocals sind wieder eine Mischung aus Keifen und Flüstern und die allgegenwärtige Akustikgitarre läßt nicht lange auf sich warten. Die Komposition wirkt dabei gleichermaßen druckvoll und energiegeladen wie auch kontrolliert. Hier wird nicht drauflosgeholzt, Stimmungen werden so geschickt eingesetzt, daß auch ein klar gesungener Part perfekt in das Konzept hineinpasst. Es folgt das Lied. Das eine. Wahrscheinlich das Lied, das ich so oft gehört habe wie kein anderes. Das ich jedem meiner Freunde und allen anderen, die nicht schnell genug wegrennen konnte zumindest einmal vorgespielt habe. 

Das perfekte Akustikstück : „the lodge“. Allein diese 4:40min berechtigen zum Kauf dieser CD, denn auch wenn der Rest der Lieder qualitativ unglaublich genial ist, „the lodge“ steht über allem. Eine Akustikgitarre setzt kurz ein, Holzstöcke, die kräftig verhallt aufeinandergeschlagen werden und das Geräusch eines Menschen, der durch frisch gefallenen, tiefen Schnee geht – so beginnt „the lodge“, dann setzten Akustikgitarre und ein Cello ein, unendlich ruhig, die E-Gitarre erklingt immer wieder verzerrt/verhallt und das Geräusch der aufeinandergeschlagen Hölzer bringen der Reise durch die verschneite Landschaft voran. Gänsehaut pur, magisch. „you were but a ghost in my arms“, es wird wieder härter und die zweite Hälfte des Albums beginnt wieder mit einem sehr schönen 9-minütigen Brocken, der alle Elemente konsequent weitereinsetzt, die Keyboards sind vereinzelt klarer herauszuhören. „the hawthorne passage“ mutet wie eine 11-minütige Hommage an Rockmusik der 70er an, die mit dem Sound von Agalloch wiedergegeben werden und auf einen berauschenden Höhepunkt zusteuern, der schließlich völlig überraschen in einem Sample eines von einem Mädchen gesungenen Liedes münden. „...and the great cold death of the earth“ beendet, was das Intro begonnen hatte, Pauken und Celli werden gefühlvoll in die Komposition miteingebunden und schaffen beruhigende Übergänge zwischen den gesungenen und mit E-Gitarren unterlegten Hauptteile. Schließlich endet der Song so, wie das Intro begonnen hatte und der Kreis schließt sich. Fraglich, warum die CD nicht an dieser Stelle endet, aber auf der anderen Seite will ich „a desolation song“ nicht missen – ein durch den Einsatz von Akkordeon an Vertreter des Neo Folk erinnernde Melodie, „The Mantle“ endet traurig, einsam und resignierend. Seit über 5 Jahren habe ich nun diese CD, bald muß ich mir ein neues Exemplar zulegen, denn Abnutzungserscheinungen machen sich bemerkbar. Ob bei Abenden mit Freunden oder Stunden zu zweit - „The Mantle“ passte, fiel positiv auf und störte diejenigen, die nichts damit anfangen konnten, nicht. Oft habe ich das Attribut langweilig gehört, aber so ist das eben in Zeiten der schnellen und starken Gefühle, dennen jeder hinterherjagt : Besinnlichkeit und Ruhe erscheinen langweilig und da die meisten meiner LieblingsCDs bei diesen Menschen als langweilig gelten weil man sie sich erarbeiten muß (unter anderem alle Neo Folk Sachen und eben Bathory/Summoning/Falkenbach etc) sehe ich das fast schon als Kompliment. 

Wer sich auf diese Art der Musik einlassen kann, wer verstehen kann, warum man für eine CD manchmal wandern muß, in die Natur will oder einen anderen passenden Ort, für den könnte „The Mantle“ genau wie für mich eine Offenbarung sein. Alleine genießt man die CD gleich nocheinmal soviel und immer, wenn ich eines der Stücke hörte und die Augen schließe sehe ich vor mir eine in orange gehüllte Schneelandschaft und eine wohlige Kälte hüllt mich ein. Natürlich habe ich im Anschluß jede ältere Veröffentlichung der Band organisiert, alle MiniCDs, Splits und das Vorgängeralbum „pale folklore“. Aber genau wie das 2006 erschienene „ashes against the grain“ sind die Kompositionen sehr gut, reichen aber vor allem im Zusammenhalt nicht an das Gesamtkunstwerk „the mantle“ heran. Und es fehlt „the lodge“. 6, 7, 8, ... Sterne wären eigentlich nicht genug, die Höchstnote ist also Pflicht und jetzt herrscht hier Ruhe – ich will mich wieder von Agaloch in die winterliche Melancholie entführen lassen. ...und 2002 war ich am Ende der CD in eine Schneeschicht gehüllt, bekam eine Erkältung und hatte die Vorlesung natürlich verpasst... Gott sei Dank, für "The Mantle" würde ich das immer wieder tun !