Mittlerweile kann der Bostoner Fünfer Aerosmith auf mehr als 30 Jahre Erfolgsgeschichte, 20 Album-Veröffentlichungen und mehr als 100 Millionen verkaufte Einheiten weltweit zurückblicken. Sie haben zweifellos ein Stück Musikgeschichte geschrieben und mit ihrem Power-Rock und den wohl herzzerreißendsten Balladen ganze Generationen vereint und glücklich gemacht. Fand ihr letztes Studio-Album „Just Push Play“ nicht ganz den erhofften Anklang, haben sich Tyler, Perry, Whitford, Hamilton und Kramer zu einer Zeitreise aufgemacht und ihre musikalischen Wurzeln wieder ausgegraben. Auf „Honkin’ On Bobo“ gibt es allerdings (fast) nichts Neues zu hören, sondern eigene Interpretationen von Bluesklassiker aus vergangenen Tagen, als die Rock’n’ Roll-Recken selbst noch jung waren. Alte Hasen covern also noch ältere Legenden aus dem Blues Delta, die längst das Zeitliche gesegnet hat? Genau! „Blues Done Aerosmith Style“ verspricht der gold-schwarze Nostalgie-Sticker auf dem Cover und schraubt die Spannung auf ein Höchstmaß. Die glänzende Mundharmonika mit dem verführerischen Lippenstick-Abdruck eines Kussmundes deutet bereits an, wohin die Richtung geht. Mit einer ungeheuren Power pflügen Aerosmith durch das Feld tiefschwarzer Musik und zelebrieren eine Hommage an Größen wie Sonny Boy Williamson, Fred McDowell oder Willie Dixon. Dafür wurde tief in die Instrumentenkiste gegriffen, die Slide- und Akustik-Gitarre ausgepackt und natürlich die Mundharmonika, welche Steven Tyler gelegentlich gerne selbst „bedient“. Sogar ein elektrisches Wurlitzer Piano, eine Hammond Orgel und groovende Bläser-Sätze gibt es stilecht zu hören – auf „Honkin’ On Bobo“ erwacht der Geist des schwarzen Mannes von der ersten Sekunde an zu neuem Leben. Schon länger nicht mehr haben sich die fünf Herren (mit tatkräftiger Unterstützung etlicher Gastmusiker und –Sänger) derart ausgetobt. Tylers Stimmgewalt kennt keine Grenzen, der Mann hat – im positiven Sinne – derart „Dreck gefressen“, dass es eine helle Freude ist. Während der Opener „Road Runner“ eher bluesig angehaucht daherkommt, ist „Shame, Shame, Shame“ straighter Rock’n’Roll! „Eyesight to the Blind“ schraubt das Tempo wieder zurück und konzentriert sich ganz auf das verspielte Piano und Tylers verruchte Stimme. Bei “Baby, Please Don’t Go” stockt einem schließlich der Atem, hier war der Gitarren-Teufel persönlich am Werk. Ein großer Track ist auch „Back Back Train“ von Fred McDowell, bei dem Saitenzauberer Joe Perry höchstpersönlich die Lead Vocals und „Hurdy Gurdy“ beisteuerte. Zweitstimme Tracy Bonham jagt einem einen wohligen Schauer über den Rücken. Das ist Musik für den einsamen Steppenwolf. Fantastisch auch „You Gotta Move“ – Gitarren-, Stimmen- und Harmonik-Perfektion in einem! Lediglich ein Song tanzt auf dem Album aus der Reihe. Und dies ist der gerade der von Aerosmith selbst geschriebene neue Song „The Grind“ – eine typische Aerosmith-Ballade zum Händchenhalten und Tränenvergießen, ganz im Stil von "Crying", "Crazy" oder "Amazing“. „Honkin’ On Bobo“ ist ein spannendes, energiegeladenes Werk geworden, welches unmissverständlich zeigt, dass das Quintett das Rocken noch nicht verlernt hat und seine alten Hit-Scheiben aus den 80ern spieltechnisch noch toppen könnte. Da lebt das ursprüngliche, derbe Aerosmith-Feeling wieder auf, das sie zu Recht zu einer der ganz großen Rock-Bands dieses Planeten gemacht hat! Blues-Fans und harte Aerosmith-Jünger sollten unbedingt in diese Platte reinhören und sich ihre Meinung bilden. Stärker als der Vorgänger „Just Push Play“ ist diese Veröffentlichung auf jeden Fall. Hier werden Erinnerungen an jene Kräfte wach, die noch zu „Rocks“- und „Permanent Vacation“-Zeiten walteten!