Deutschland anno domini 2007. Wir sind Zeugen eines außergewöhnlichen Prozesses, einer Heiligsprechung. Gegenstand der Verhandlung ist das dritte Album „Sternenmarsch“ einer Aschaffenburger Formation um Mastermind Thomas Jäkel, die sich ausgerechnet den Namen ihres eigenen Gegenspielers gegeben hat. Der Advocatus Diaboli – zu deutsch Anwalt des Teufels – ist niemand anderer als derjenige, der Gründe, welche einer Aufnahme in den Reigen der Heiligen entgegenstehen, zu suchen und vorzutragen hat. Hören wir also die Plädoyers – es spricht zuerst der Advocatus Dei, der Anwalt Gottes: Verehrte Vertreter der heiligen Mutter Kirche, nach intensiver Beschäftigung mit vorliegender Silberscheibe bin ich zu dem Schluß gekommen, daß wir es hier mit einem sehr facettenreichen Werk zu tun haben, das über das Genre Gothrock deutlich hinausgeht.

Der durch die Gitarren dominierte Grundton wird an vielen Stellen durch gekonnte Keyboard-Einsätze aufgelockert. Beispielhaft hiefür sei „Nah bei Dir“ genannt, das mit seinem unheilverkündendem Intro und dem Stakkato der elektronischen Begleitung in Verbindung mit flächigem Hintergrund geradezu Gänsehaut erzeugt. Doch auch diejenigen, die ausschließlich treibende Rhythmen anbeten, werden fündig. Schon der Opener „Sternenmarsch“ legt ein straffes Tempo vor und „Komm“ versetzt diese Gesellen durch seine fetten Riffs sicherlich in's Reich der Glückseligkeit. Den Hütern der Tradition sei dagegen das Lied „Künstler“ empfohlen, wo sich Torch (Saltatio Mortis) mit seinem Dudelsack die Ehre gibt. Als weiteres Argument führe ich den sonoren Gesang des Songwriters Thomas Jäkel an, welcher hervorragend mit dem erdigen Sound harmoniert.

Wem das noch immer nicht genügt, der werfe einen Blick auf die Texte, die mühelos sämtliche Klischeeklippen umschiffen und sogar bei „Teil des Teils“ mit einem gewissen Johann Wolfgang von Goethe aufwarten. Der Avocatus Diaboli hält dem entgegen: Geehrter Avocatus Dei, im Großen und Ganzen stimme ich Ihrem Plädoyer zu, auch ich muß zugeben, daß ich vom Abwechslungsreichtum des Albums positiv überrascht bin. Doch gebe ich zu bedenken, daß die Verschmelzung von Rockgitarren und Elektronik nicht immer optimal gelungen ist. So klingt der Titel „Sie“ etwas zu verhalten, als ob man sich hier nicht ganz entscheiden konnte, in welche Richtung es nun gehen soll. Auch das abschließende „Schlacht“ könnte trotz seines eingängigen Refrains in den Strophen noch etwas ausgefeilt werden. Hauptgrund gegen eine Heiligsprechung ist jedoch der Gesang Linda Weinmanns, die seit 2005 die bisherige Sängerin Sonja Ströbling ersetzt. Nicht daß erstgenannte eine schlechte Stimme hätte, aber ihre fragilen Vocals wollen einfach nicht so recht zum Klangbild passen. Sie stehen zu sehr für sich allein und wirken dadurch beinahe wie ein Fremdkörper. Das ist schade, denn es schmälert den ansonsten durchweg gefälligen Eindruck des Albums erheblich.

Nach Anhörung beider Plädoyers zieht sich die Kammer zur Beratung zurück und verkündet schließlich ihr Urteil: Unter sorgfältiger Abwägung aller Kriterien verkünden wir im Namen der heiligen Mutter Kirche, daß die Band Advocatus Diaboli zwar einige Voraussetzungen für die musikalische Heiligsprechung erfüllt, das Gesamtbild allerdings noch nicht stimmig genug ist, um eine Aufnahme in den Kanon der Heiligen zu rechtfertigen. Deshalb entscheiden wir uns vorläufig nur für eine Seligsprechung, werden aber das Verfahren beim nächsten Album wieder aufnehmen. AMEN !