Hinter der kryptischen Zeichenreihe ][|][ steht ein französischer Künstler, der seit einiger Zeit unter dem wenig schmeichelnden Pseudonym L’idiot du village agierte. Auch als ][|][ entstanden bereits Aufnahmen, doch sei es der Schreibweise oder der eigenen Bemühungen geschuldet: ich kann weder eine direkte Internetpräsenz noch eine ausführliche Diskographie ausmachen und könnte nur auf der Label Seite von Steelwork Maschine die Alben aufwendig zählen. Ich lasse es und wende mich der vorliegenden, auf 100 Stück limitierten Veröffentlichung zu, die mir nicht weniger Rätsel ist. Gewidmet wurden die Aufnahmen auf ‚[_I_]‘ übrigens allen auf dem Meer verschollenen Seemännern. Steelwork Maschine beschreiben die Entwicklung des Albums wie folgt: zahlreiche live eingespielte Orgel und Harmonium Aufnahmen aus den Jahren 2005 bis 2011 wurden zusammengefügt, gemixt, mit allerlei Effekten und Klängen angereichert und schließlich denaturiert mit digitalen Filtern. Ja genau. Zu beschreiben, was das bedeutet ist schwer: ‚[_I_]‘ schwankt in der Wirkung zwischen zutiefst intensiver Verstörung und chaotisch-genervter Ratlosigkeit. Das einleitende „Atlas“ ist dabei das liedähnlichste Stück mit einer sich wiederholenden Melodie und einer monumentalen Soundfront. Fast drücken einen die (Sound)Wellen in den Sessel, übermächtig wirkt die See (die man sich mit geschlossenen Augen leicht vorstellen kann). Ein fantastischer Einstieg. „Saturn“ weist aber viel deutlicher den Weg des restlichen Albums: die Orgel rückt ins Zentrum des Geschehens und wir erleben einen wahnsinnigen Reigen reinster Improvisation. Egal, ob man dieses wurmende Chaos gut erträgt oder nicht: es wirkt. Ich bin erschlagen, bin verzweifelt, halte es kaum aus. Doch die See wird ruhiger „La cordelière“ kommt mir italienisch angehaucht vor, man könnte das Stück auch bei einer Trauerzeremonie der Mafia spielen. Seltsam seltsam, wo bin ich nur gelandet? „Amoco cadiz“, „Kisagata maru 3“, „U971“ – der Sturm wirft mich hin und her, reißt mich hinab in die Tiefe und zermalmt meinen Körper in düsterer Einsamkeit. „Volonta“ könnte eine wirre Jahrmarktsfantasie eines dahinschwindenen Geistes sein, die lang gehaltenen Orgeldrones in „Lake Borgne“ hinterlassen trotz versöhnlicher Ruhe ein mulmiges Gefühl, doch „Columbian“ könnte die Erlösung ein. Das Aufwachen am Strand nach einem schweren Sturm von der See wieder ausgespuckt. Und so klingt „Xenophon“ auch sonor aus, man weiß aber, dass die Gefahr da draußen lauert. Man liest es – wenn man sich dem Albumkonzept fügt und mit Ruhe und VIEL Geduld an ‚[_I_]‘ herangeht, dann erlebt der Geist eine Reise, eine regelrechte Geschichte. Trotz allem ist das Vernommene bei objektiver Kurzschau ziemlich wahlloses Spontangeklimpere, das mehr oder weniger durch die Nachbearbeitung einen gewissen Rahmen erhalten hat. Die sich ständig wiederholenden Tonfolgen innerhalb der einzelnen Stücke werden zum Teil unsauber gespielt, Misstöne, Verzögerungen (oder Verspieler) sind oft zu vernehmen und manchmal bringt so eine Orgel-Jam-Session auch eine gefühlte Ideenarmut während der Stücke mit sich und man sieht förmlich den Musikervor sich, wie er an den Tasten einfach mal mehr oder minder konsequent weiterspielte ohne zu wissen, wohin es führen soll. Gut, mittel, schlecht? Was weiß ich…. Kunst? Ach herrje…. Bestimmt. Hat mir ‚[_I_]‘ gefallen? Ganz sicher nicht. Aber das soll es wohl auch nicht, es soll wirken. Und das hat es. Oh ja. Mir ist nicht klar, warum mit „Atlas“ ein Stück an den Anfang gesetzt wurde, das so gar nicht zum restlichen Wahnsinn passt, viel zu sehr wie Musik klingt. Dadurch entsteht ein Eindruck, der dann wieder zerschlagen wird. „Atlas“ für sich ist toll, das Album hingegen eine verstörende Seefahrt im Sturm. Für geduldige Klangexperimentfreunde mit Hang zum Seltsamen in jedem Fall ein bemerkenswertes Erlebnis. Ich gebe 4,5 Punkte für die intensive Erfahrung. Aus rein musikalischer und massenkompatiblerer Sicht wären es sicherlich kaum 2 Pünktchen.